Chris Minh Doky – New Nordic Jazz: Transparency
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RDM 1801
Wer an „nordischen Jazz“ denkt, denkt wahrscheinlich zuerst an den sogenannten Fjordsound, den Jan Gabarek geschaffen hat. Zudem fällt wahrscheinlich auch der Name E.S.T. Doch das ist ja nur ein Aspekt skandinavischer Jazzmusik. Längst sind neue Gesichter auf der Bildfläche erschienen, sei es Marius Neset oder Nypan oder Carsten Lindholm oder schließlich Lars Danielsson. An dessen Kompositionen in „Liberetto“ erinnern im Übrigen einige der Stücke des vorliegenden Albums – zumindest von der Melodiestruktur und von den Harmonien her.
Chris Minh Doky, ein vietnamesisch-dänischer Bassist, der in Kopenhagen ebenso zuhause ist wie in New York City, gehört auch zur skandinavischen Jazzszene von heute. Er ist der jüngere Bruder des Jazzpianisten Niels Lan Doky. Obwohl Minh Doky in unterschiedlichen Genres bewandert ist, gilt sein Hauptaugenmerk doch dem Jazz. Sein erstes Album namens „Appreciation“ erschien 1989, nur vier Jahre nachdem er den Bass als sein Instrument entdeckt hatte! Nun liegt die jüngste Veröffentlichung vor: „Durchsichtigkeit“, so die dt. Übersetzung des Albumtitels.
Zum Trio des Bassisten Mihn Doky gehören Peter Rosendal (piano and Wurlitzer) und Jonas Johansen (drums). Es ist ein Trio, das sich sehr dem lyrischen und erzählerischen Jazz verschrieben hat. Die Mehrzahl der veröffentlichten Kompositionen stammen von Chris Minh Doky, so „Brother“, „Daughter“, „Son“ und „Father“. „Psalm“ hat der Bassist gemeinsam mit Ole Schmidt verfasst, und „Sister“ ist ein Gemeinschaftswerk des Trios. Ganz zum Schluss des aktuellen Albums hören wir dann noch eine „Loblied“ auf die Mutter, das allerdings auch wie die anderen Stücke einen gänzlich anderen Titel tragen könnte, oder?
In den anfänglichen Harmonien meint man, „So What“ und auch „Love Supreme“ in aufgeladener und paraphrasierter Form zu entdecken. Ohrschmeichlerisch sind die melodischen Konturen, die das Trio dem Zuhörer präsentiert. Starke rhythmische Muster durchziehen das Eröffnungsstück namens „Brother“. Dabei belegt der Bassist und Bandleader Chris Minh Doky einen zentralen Platz im Fokus des Klanggeschehens. Nichts ist von der Behäbigkeit eines tieftönenden Kontrabasses zu verspüren. Man sieht nicht nur tanzende Saiten, sondern auch auch einen tänzelnden Bassisten vor sich. In diese verspielte Tänzelei fällt der Pianist Peter Rosendal mit seinen Tastenkaskaden ein. Dann übernimmt wieder Minh Doky das musikalische Zepter. Bei seinen nun folgenden Basspassagen scheint Volksliedhaftes präsent zu sein.
Getragen eröffnet der Pianist die Komposition „Daughter“. Von den Harmonien her breitet sich ein wolkenverhangener Novemberhimmel über den Zuhörern aus. Die Langsamkeit des nahenden Winters scheint beschworen zu werden. Lichterglanz fängt der Bassist mit seinem feinen Saitenspiel nachfolgend ein. Und auch hier scheint es Momente des Volksliedhaften zu geben. Bei „Daughter“ drängen sich auch Bilder auf, die Edvard Munch der Nachwelt hinterlassen hat. Im Mittelpunkt stehen dabei Familien, deren Mitglieder krank darniederliegen und schließlich von Krankheit dahingerafft werden.
Der Sinn für Langsamkeit findet sich in „Father“. Zugleich wohnt dieser Komposition auch eine helle, freudige Tönung inne. Man denkt beim Zuhören an Unbeschwertheit, an einen lauen oder warmen Sommer, an den Wind, der beim Rollerskating ins Gesicht weht, an dahin schwebende Paraglider, die der Bodenhaftung entfliehen. Und all das bündelt sich in der hier besungenen Vaterfigur? Man muss davon ausgehen. Also mal kein abwesender, sondern ein sorgender Vater, der für alles zu haben ist, der sportiv ist und den Alltag leicht nimmt. Doch gibt es solche Väter?
Einem Kirchenlied gleicht „Psalm“. Dabei trifft sakrale Schwere und Ernsthaftigkeit auf freudigen Lobgesang. Bei „Woman“ meint man, das Trio habe einen Song im Stil von Joni Mitchell für ein Jazz-Trio geschrieben. Schließlich noch ein Wort zu „Mother“: Der Beginn des Stücks liegt in der Hand des Bassisten, der auch im weiteren Verlauf seine Basslinien nachhaltig zum Schwingen bringt. Dazu gesellen sich versiertes Besengeschiebe und ein neoromantisch erscheinendes Klavierspiel. Wenn der Titel nicht „Mutter“ wäre, könnte er auch „Nachtschwämer“ heißen, vergegenwärtigt man sich die kontemplative Note der präsentierten Musik.
Zu guter Letzt: Was hat eigentlich das Cover des Albums, das ein lanzenförmiges Blatt zeigt, mit „Vater“, „Sohn“, „Mutter“ und „Bruder“ zu tun?
Text: © ferdinand dupuis-panther
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