Capri Di Rote Quintett - Narkoleptik
C
bpm/INDIGO, Indigo 950762
Weder dürfen wir von Gunnar Kockjoy (Trompete, Flügelhorn), Sebastian Hoffmann (Posaune), Jörg Hochapfel (Klavier, Gitarre, Melodika), Oliver Karstens (Kontrabass) und Dirk Achim Dhonau (Schlaginstrumente, Klarinette) einen Sekundenschlaf erwarten, noch gar ein unerwartetes Einschlafen wie beim Krankheitsbild Narkolepsie, worauf der CD-Titel abhebt. Die Hamburger Musiker sind hellwach und präsentieren Jazz abseits des Gängigen. Bereits der Bandname, der in zwei Tagen entstehen musste, lässt aufhorchen. War da nicht etwas mit Capri? Gab es nicht einen Schlager, dessen eine Zeile wie folgt lautet: „Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt ...“. Genau darauf hebt der Bandname auch ab. Grammatikalisch völlig falsch heißt es dann di(e) Rote Quintett. Kein Witz, das geschah aus Kalkül. Der Bandname sollte italienisch anmuten und zugleich wegen des Grammatikfehlers stutzig machen. So wird man sich den Namen der Hamburger Jungs sicherlich einprägen. Man wollte schlicht, so der Eindruck, eine Marke jenseits des Mainstreams kreieren, die nicht so schnell vergessen wird und sich aus dem Einerlei etwas abhebt.
Die Praxis des Doktor Z
Besuchen wir mal „Doktor Z“. Für welches Fachgebiet er zuständig ist, wissen wir nicht. Vielleicht HNO – das läge beim Hören von teils durchaus widerspenstig gestrickter Musik nahe, oder? Taktaktaktak – Schlag auf Schlag setzt das Schlagzeug seine Marken. Bläser ertönen und der brummende Bass verteilt Rezepte. Die Posaune brummelt, und die Trompete frohlockt. Schlag auf Schlag meldet das Schlagzeug sich erneut zu Wort. Kurz sind die melodiösen Interventionen des Klaviers, die von aufgeregten Bläsern abgelöst werden. Die Posaune fordert unmissverständlich auf, ihr in den Sequenzen zu folgen. So begibt sich die Trompete ins Schlepptau der Posaune. Die Blechbläser lassen sich im weiteren Verlauf der Komposition zu „Doktor Z“ die Butter nicht mehr vom Brot nehmen. Erst am Schluss verhallen sie im Off. Wer bei „Grün hinterm Horn“ an „Greenhorn“ und an Westernromantik denkt, der liegt bei dem zweiten Stück der aktuellen CD nicht gänzlich falsch. Nein, Bonanzamelodievariationen gibt es ebenso wenig zu hören wie „Spiel mir das Lied vom Tod“ in Jazzversion. Doch hier und da vernimmt man eine Westerngitarre, spürt man die Kerle von Korn und Schrot, Charles Bronson oder Clint Eastwood. Aber das geschieht nur für Bruchteile einer Minute. Schließlich schrammeln die vier Hamburger keine Country Songs. Dass sie sich aus diesem Genre auch bedient haben, steht auf einem ganz anderen Blatt Papier. Die Klangfarben von „Grün hinterm Horn“ sind mit Ausnahme der Westernattitüden wohl dem Nu Jazz zuzurechnen, wenn man denn eine Kategorisierung von Jazz braucht. Hören wir lieber zu und spitzen unsere Ohren. Wenn man das tut, dann erlebt man ein gekonnt inszeniertes Duett zwischen Bass und Schlagzeug, während die Gitarre im Off agiert. Immer wieder ist sie es, die uns an Westernromantik erinnert.
Schlafzwang oder was?
„Narkoleptik“ ist nicht nur der Titel der CD, sondern auch der Titel einer der Kompositionen. Doch an plötzlichen Schlaf, der uns übermannt, ist bei der angebotenen musikalischen Unterhaltung vom Capri di Rote 5tet nicht die Rede. Zu einem hektischen Schlagzeug flötet eine Melodica. Hm, ist da gerade auch Tango nuevo beigemischt worden? Unsere Gehörknöchelchen werden einem bunten Mix von Marching Band und Brass-Musik ausgesetzt. Knarren, Knarren, Plinplinplinplin, Knarren und Plingplong, dazu eine quakende Trompete – das sind kurze Hörmomente während des „Schlafzwangs“.
Hard-Bop-Schemata tauchen auf. Hier und da gibt es auch ein wenig Big-Band-Sound. Doch all das scheint provokativ. Der Hörer solle sich wohl nur ein wenig einlullen lassen, um dann durch das widerspenstige Spiel des 4tetts aus der Ruhe gebracht zu werden. „Die Symphonie mit dem Paukenschlag“ lässt grüßen.
Welche Nachrichten und welche Musik liefert wohl „Radio November“. Wir hören es: den Streit zwischen Bass und Klavier, aus dem sich das Klavier rasch löst, mit Pling, pling, pling. Alarmiert ist die Trompete und schreit Dadadadada und es klingt wie „Haltet den Dieb!“ Derweil erzählt die Posaune eine Geschichte in epischer Länge. Mal wohl gute, mal wohl auch schlechte Nachrichten überbringt im Weiteren die Trompete. Der Nachrichtenticker tickt: Pling und Plong – es ist das Klavier. Im Duett verbreiten dann schließlich die Bläser des 4tetts schräge und bunte News. Doch Radiosendungen in der Endlosschleife bieten uns das Capri di Rote 5tet nicht an. Nach dem letzten Pling und Plong gibt es eine radiolose Auszeit. Der Sender hält Nachtruhe.
Die Komposition „Großer Walzer“ ist nicht etwa tanzbar, sondern ein Werk voller musikalischer Nervosität und auch mit einem Hauch von Ekstase angereichert. Mit „Auf & Durch & Zu“ versinkt dann vor Capri die rote Sonne am Meer und das Capri di Rote 5tet macht sich auf den Heimweg, bis zum nächsten Mal.
© ferdinand dupuis-panther
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