Céline Bonacina Trio & Gäste - Open Heart
C
ACT Records, ACT 9514-2, veröff. 2013
Ein Trio im Jazz ohne Klavier – geht das denn? Ja das geht! Dafür gibt es zahlreiche Beispiele und das Trio der zeitweilig auf Réunion aufgewachsenen Bonacina gehört dazu. Dass es nun gerade ein Baritonsaxofon sein muss, das das Piano des klassischen Trios ersetzt, ist eher außergewöhnlich. Zudem findet man ein derartiges Blasinstrument jenseits großer Bands kaum. Eine absolute Seltenheit ist es, als Soloinstrument eingesetzt und dann gar noch von einer recht zierlich wirkenden Frau gespielt zu werden. Gewaltig ist das Instrument, dem man brummende und grunzende, aber auch schmatzende Tieftöne entlocken kann.
Dass Bonacina überhaupt mit Einspielungen auf dem ACT Label vertreten ist, ist einem glücklichen Umstand zu verdanken. Nur durch die Empfehlung des ACT-Gitarristen Nguyên Lê wurde Labelchef Siggi Loch auf die französische Baritonsaxofonistin Céline Bonacina aufmerksam. Lê, der gemeinsam mit der NDR-Big-Band bei ACT gerade eine Hommage an Pink Floyd veröffentlichen konnte, sagt über seine Entdeckung: "Ich konnte nicht aufhören, die Vitalität und Schönheit ihrer Musik zu bewundern und in ihr immer wieder neue Vielfalt und außergewöhnlichen Ausdruck zu entdecken. In dieser jungen Frau stecken der Wille und der Drang, Grenzen zu durchbrechen und sich von der Masse abzuheben. Dies brachte sie auch dazu, sich für ein solch gewaltiges Instrument wie das Baritonsaxofon zu entscheiden. Während unserer Arbeit lernte ich immer neue Facetten ihrer künstlerischen Persönlichkeit kennen. Was für ein Kontrast zwischen Célines graziler Erscheinung, ihrer sanftmütigen, spirituellen und zugleich schelmischen Art und dem Feuer, das in jedem ihrer Töne brennt.“
Als Bonacinas Mentor zeichnet Lê auch als Produzent für die aktuelle Scheibe verantwortlich. Clever genug war Céline Bonacina, die auch Alt- und Sopransaxofon beherrscht, sich den E-Bassisten Kevin Reveyrand und den Drummer Hary Ratsimbazafy an ihre Seite zu holen. Zudem hat sie für die aktuelle Einspielung auch einige Gäste willkommen geheißen, so die Vokalistin Himiko Paganotti, den Vibrafonisten und Glockenspieler Pascal Schumacher und den überaus versierten und spielfreudigen Perkussionisten Mino Cinelu, der für flotte Drives und Beats sorgt. Die letzte Aufnahme der CD mit dem Titel 'Lonely Dancer' ist eine Live-Aufnahme des ACT-Jubiläumskonzerts. Dafür kamen zu Bonacinas Trio dann der Pianist Michael Wollny und der schwedische Bassist Lars Danielsson hinzu - auch er u. a. mit 'Libretto II' bei ACT vertreten. Der größte Teil der zu hörenden Kompositionen stammt von Bonacina, zwei sind ihrem Bassisten geschuldet und eine, nämlich 'Lonely Dancer', dem Pianisten Michael Wollny.
Experten dürfen sich bei Bonacinas Musik darüber streiten, ob es denn Hard Bop oder Modern Jazz sei, den sie spiele. Für viele mag dies jedoch völlig unwichtig und belanglos sein. Vor allem fasziniert das Spiel Bonacinas auf ihrem Baritonsaxofon. Dabei gelingen ihr starke Grooves und eingängige Melodiethemen. So präsent ist sie in ihrem Spiel, dass man fast den Eindruck hat, sie brauche gar keine Mitspieler. Dass dem nicht so ist, stellt man schnell beim Hören der CD fest. Hier und da tauchen ein Glockenspiel und der metallisch anmutende Sound des Vibrafons auf, was Pascal Schumacher zu verdanken ist. Scat Vocals und Lyrik, beim Titel' So close so far' vorgetragen von Himiko Paganotti, bringen neue Klangfarben ein, die über dem brummenden „Tieftöner“ Bonacinas zu schweben scheinen. Nahezu ekstatisch erscheinen die Rhythmen, die Cinelu hervorzaubert. Dennoch ist Bonacina stets allgegenwärtig, auch wenn sie das Baritonsaxofon beiseitelegt und wie bei 'Desert' zum Sopransaxofon greift.
Namensgebend für die CD ist der Titel 'Open Heart', der sich auch im Cover widerspiegelt. Hier ist ein Kunstwerk von Mimmo Palladino, einem italienischen Objektkünstler und Vertreter der italienischen Transavantgarde, zu sehen: In einer Statue mit geöffnetem Brustkorb sitzt eine Gestalt mit angewinkelten Beinen, die den Blick nach unten senkt.
Mit dem 'Hauch eines Traums' beginnt das Trio um Bonacina und serviert uns gleich eine tieftönige Saxofon-Ouvertüre. Doch ein wenig irritiert nimmt der Zuhörer wahr, dass der „Tieftöner“ sich durchaus auch in ungeahnte Klanghöhen aufschwingen kann. Getragen ist das Kennzeichen dieses ersten Stücks. Bisweilen erinnert die Melodielinie an sakrale Musik. Zartes Glockenspiel bildet schließlich den Ausklang der musikalischen „Träumerei“. Auch bei 'Circle Dance' ist es Bonacina, die musikalisch das Zepter in der Hand hält, ehe sich dann Himiko Paganotti mit ihrem lautmalerischen, glockenhellen Gesang neben die Saxofonsequenzen setzt. Doch das soll ein Tanz sein, den das Trio anstimmt? So richtig scheint der feurige Rhythmus zu fehlen. Eher wird man aufgrund der Melodieführung an einen Popsong erinnert, auch wenn dieser Eindruck durch die Solopassagen Bonacinas stets aufs Neue konterkariert wird. Wie aus dem Nichts und dann stetig anschwellend treten die Klangwolken von 'Wild World' an unsere Ohren. Überaus rhythmisch und mit akzentuierten Beats kommt das Schlagzeug daher, derweil sich Bonacina in verspielten „Trällereien“ ergeht. Das Baritonsaxofon knurrt, grunzt und brummt aber auch. Manchmal verliert es sich in verwegenen „Obertönen“. Dschungelfieber kommt aber dennoch nicht wirklich auf, auch wenn der Perkussionist Mino Cinelu sich redlich um afrikanische Beats bemüht. Pascal Schumacher darf aus seinem Vibrafon den Titel 'Bayrum' eröffnen. Endlich mal nicht das Baritonsaxofon zu Beginn, mag der eine oder andere denken. Zu dem variantenreichen Spiel auf den Metallstäben des Vibrafons gesellt sich Paganotti mit ihrem Gesang. Ist da nicht auch Bonacina mit dem Altsaxofon zu hören?
Mit Hall unterlegt scheint das Vibrafon Schumachers, wenn er 'So Close So far' einleitet. Der Gesang Paganottis, die Vibrafonsequenzen Schumachers und die Saxofonpassagen Bonacinas vereinen sich bei dieser Komposition zu einem harmonischen Ganzen, bei dem man allerdings auch gerne die Lyrik des Songs verstehen möchte. Doch ein Abdruck auf dem CD-Cover fehlt leider. Auf dem Album begegnen wir musikalisch der Commedia del' Arte, wenn der Titel 'Pierrot' zu hören ist, ehe wir uns dann mit offenen Herzen der Komposition 'Open Heart' hingeben. Dabei fühlt man sich ein wenig an die Blütezeit des Bebops und an 'Round Midnight' erinnert. Die überaus gelungene CD lässt auf weitere Einspielungen hoffen. Dabei wären längere Kompositionen wünschenswert, bei denen sich die Mitspieler Bonacinas noch besser als Meister auf ihren Instrumenten zeigen können.
© ferdinand dupuis-panther
Informationen
Label
http://www.actmusic.com
Band
www.celine-bonacina.com