Big 4: Seven Years
B
Neuklang NCD4154
Auffallend an dem Quartett Big Four ist die Instrumentierung. Es ist ein bassloses Ensemble, sprich auf den Kontrabass verzichten die Musiker und vertrauen ganz und gar auf das tieftönige Sousafon, dem Fabien Debellefontaine Leben einhaucht. Zur Band gehören zudem Stephan Caracci (vibrafon), Rafaël Koerner (drums) und schließlich Julien Soro (alto saxofon). Zugleich ist Julien Soro auch für die Kompositionen zuständig, angefangen bei „Voyou“ über „Pretty Much Henry“ und „Zéphyr“ bis zu der vierteiligen Suite Temps Libre. Diese beginnt mit „Rêver“ und endet mit „Danser“.
Julien Soro ist der Kopf des Quartetts, zu dem für die aktuellen Live-Aufnahmen noch der Trompeter Quentin Ghomari dazustieß. So erscheint das Quartett als Quintett mit der Strahlkraft eines stimmgewaltigen Klangkorpus. Wir haben auf der Skala von Hoch nach Tief zu einem die metallischen Klangstäbe des Vibrafons und zum anderen das Sousafon. Wenn sich wie bei „160 bpm“ die drei Bläser „verschwören“ dann rollt über den Zuhörer ein ungeheurer Tonschwall hinweg. Wie eine 30 Meter hohe Megawelle erscheint das, was wir wahrnehmen. Doch in den wenigen Räumen, die die drei Bläser freilassen, bewegt sich ungezwungen das Vibrafon, das
hier und da hochstimmig hörbar ist, derweil die Bläser gänzlich ungestüm erscheinen.
In „Voyou“ eröffnet das Vibrafon mit redundanten Klangfolgen den musikalischen Reigen. Dazu hört man das Sousafon als „tiefsinnigen“ Kommentator. Irgendwie hat das auch etwas von House und Techno jenseits von elektronischem Zauberkästlein. Tiefe Vibrationen sind deutlich spürbar. Über den beiden genannten Tonakrobaten schweben Trompeten- und Saxofonklänge, gleichfalls in einem gewissen Stakkato gehalten. Es klingt nach einem Hin und Her, nach Nervosität und Getriebenheit. Was das allerdings mit Gauner, Schlägertyp und Strolch – so die deutsche Übersetzung von „Voyou“ zu tun hat, bleibt ein Geheimnis von Julien Soro.
Nachhaltig ist der lyrische Klang der Trompete, die wir in der Eröffnung von „Zéphyr“ wahrnehmen. Dazu trommelt Rafaël Koerner mit Schlägeln auf seinem Schlagwerk, das eher nach Pauke klingt. Klangsequenz nach Klangsequenz schwebt dahin, dabei die griechische Windgottheit Zépyhr einfangend. Wenn man keinen Bogen zur antiken Mythologie spannt, dann kann man sich vielleicht mit Zephyros als der Bezeichnung für leichten Westwind anfreunden. Ja, einen solchen Windhauch spürt man schon, angesichts des sensiblen Spiels von Quetin Ghomari. Teilweise hat man beim Zuhören auch das Bild von Windwirbeln im Kopf, wenn Trompete und Saxofon das Klangbild dominieren.
Ein hektisch aufgelegtes Saxofon erscheint zu Beginn von „Boule de neige“ auf der Bildfläche. Da scheinen Schneeflocken wild in der Luft zu tanzen und kein Schneeball geworfen zu werden. Oder fängt Soro da nicht doch im weiteren Verlauf eine wilde Schneeballschlacht ein? Soros Spiel wird stetig wilder und umtriebiger. Schneefall setzt ein – man lausche mal auf das kristallin klingende Vibrafon, das sich von den Bläsern absetzt und in den Vordergrund drängt. Beinahe hat man den Eindruck, das Quintett fange einen Tumult ein, so bewegt erscheint die Melodielinie.
Zum Schluss präsentieren die Big 4 eine vierteilige Suite: Mit „Träumen“ beginnt diese Suite und mit „Tanzen“ hört sie auf. Dabei kommt dem Vibrafonisten eine besondere Rolle zu, ist er doch derjenige, der uns mit kurz nachhallenden Klangstäben einen Traum schenkt. Allerdings wird er dabei von Julien Soro auf dem Altsaxofon begleitet, der den Klangfluss des Vibrafons umspielt und uns mit kurzen Nebelhorneinlagen wohl auch einen kurzen Albtraum vermittelt. Bei „Courir“ streiten das Vibrafon und die Bläser um die Festlegung der Hörfarben, sind sich aber in Rhythmus und Timing einig. Alle scheinen auf Rennen eingestellt. Selbst das träge Sousafon hört sich kurzatmig und in Bewegung an. Derweil scheint das Vibrafon für beinahe rasende Geschwindigkeit zu stehen. Das Saxofon vermittelt uns ein stetes Rennen mit kurzen Pausenintervallen, um Luft zu schnappen. Doch wann ist endlich das Ziel erreicht? Vielleicht geht es aber mehr um den Weg, den man bewältigen muss.
Zum Schluss werden wir zum Tanzen animiert, was Aufgabe von Julien Soro ist. Was wir hören, klingt dabei ein wenig nach 24-Stunden-Marathontanz-Wettbewerb und nicht nach beschwingtem Walzer oder nach Jive. Egal, das vorgelegte Album ist erfrischend und voller Dynamik, präsentiert eine ungewöhnliche Instrumentierung, lässt den Kontrabass und das Piano als klassische Elemente einer Rhythmusgruppe nicht vermissen, eröffnet neue Klangnuancen, vor allem dank Vibrafon und Sousafon. Bitte mehr davon!
Text: © ferdinand dupuis-panther
Informationen
Label
Neuklang
http://www.neuklangrecords.de
Musiker
Big 4
http://www.bigfourquartet.com/
http://www.bigfourquartet.com/medias/