Bastian Jütte 4tet: Happiness is overrated
B
Unit Records UTR4695
Im Gegensatz zu Bobby McFerrin lautet das Motto bei Bastian Jütte nicht „Don‘t worry, be happy“. Nun gut, im Album-Titel liegt vielleicht nur ein Schuss Sarkasmus und Ironie, die es zu begreifen gilt. In Zeiten des ewigen Glücksstrebens, das durch die Wirklichkeit immer wieder eingeholt wird, auch durch Kriege und andere Katastrophen auf dieser Welt, scheint Skepsis angezeigt, auch solche, die durch Sarkasmus und Ironie zum Ausdruck gebracht wird. Der Komponist und Schlagzeuger hat sich für die aktuellen Aufnahmen mit nachstehend genannten Musikern umgeben: Florian Trübsbach (alto saxophone, clarinet), Rainer Böhm (piano) und Henning Sieverts (bass, cello).
Im Hinblick auf die Kompositionen„Rainers Metamorphosen“, „The Prisoner“, „Living The Dream“ oder Room of Sadness“ - na, diese Titel klingen doch alles etwas schwarz eingefärbt und nachdenklich, wenn nicht gar schwermütig und pessimistisch - ist der ECHO Jazz Preisträger Bastian Jütte federführend gewesen. Das 4tet, das Jütte musikalisch dirigiert, ist übrigens die frisch gekürte Siegerband des „Neuen Deutschen Jazzpreis 2016“. Es scheint also, dass die Band mit ihrer Musik den Zeitgeist jenseits der aufgesetzten Fröhlichkeit, die uns allenthalben medial überfällt, wohl bedienen konnte, denn sonst wäre eine solche Auszeichnung ja nicht zustande gekommen.
Folgt man aufmerksam den Sequenzen, die Rainer Böhm uns auf seinem Tastenmöbel zu Gehör bringt, möchte man an einen grauen, verregneten Novembertag denken, an dem man sehnsüchtig am Fenster sitzt und sich das frische Grün des Frühlings herbeisehnt. Auch Florian Trübsbach scheint in seinem Spiel davon angesteckt worden zu sein. Ihm obliegt es dabei, die rauen Herbstwinde herbeizuzitieren, derweil Rainer Böhm hier und da auch musikalischen Raureif herbeizaubert. Nur gelegentlich hat man den Eindruck, bei „Rainers Veränderungen“ höre man auch das Aufbegehren, den Widerstand gegen die sich ankündigende Winterstarre. Man lausche dabei den sprunghaften, teilweise im Diskant angesiedelten Passagen im Verlauf des Stücks. Es scheint als sprudele da ein Lebensquell, der sich gegen Eis und Minustemperaturen wehre.
Henning Sieverts am Bass bleibt es überlassen „The Prisoner“ tieftönig zu eröffnen. Fängt er dabei die schweren Schritte eines Gefangenen in seiner Zelle ein, das ewige Hin- und Hergehen auf engstem Raum? Für Stimmungsaufhellung scheint Florian Trübsbach mit seinem Altsaxofon zu sorgen. Hört man da nicht auch Wasser von der Decke tropfen? Pling, Pling, Pläng, Plang – so klingt das Spiel von Rainer Böhm. Sehr getragen steht dabei die Linie des Saxofons über dem wiederkehrenden „Tropfenspiel“. Irgendwie scheint ein eher trübseliger Alltag musikalisch beschrieben zu werden. Höhepunkte fehlen; Gleichklang scheint gegeben. Strukturierte Routinen beherrschen den „Gefangenen“.
Wenn Glücklichsein überbewertet ist, so lautet der nächste Titel, dann kann man auch keine Freudensprünge erwarten, sondern gedämpfte Sequenzen, die auch eine gewisse Lethargie einzuschließen scheinen. Jeder der Instrumentalisten scheint auf sein Art und Weise nicht ans Glücklichsein zu glauben, sondern eher damit zu hadern, auch der sehr bewegte Bassist, der sich in einen eigentlich nutzlosen Dialog über das Thema mit dem Pianisten einlässt. Doch glücklich klingen beide nicht, wollen sie wahrscheinlich auch nicht, denn „Happiness is overrated“!
Doch Träume muss man wohl haben, denn sonst wäre Bastian Jütte nicht auf „Living The Dream“ gekommen. Als würden Schneekristalle schmelzen und Eis brechen, so klingt das, was Rainer Böhm seinen schwarzen und weißen Tasten entlockt. Dazu säuselt das Saxofon verträumt und ein wenig verführerisch, das Florian Trübsbach spielt. Dezent sind dabei die Schneebesen in den Händen von Bastian Jütte im Einsatz. Übrigens dieses dezente Auftreten gilt für das gesamte Album, auch wenn Bastian Jütte der eigentliche Spiritus Rector ist. Er drängt sich nicht durch viel Wirbel auf, zeigt kein aufgesetztes, forciertes Drumming, sondern bleibt im Hintergrund und überblickt das Geschehen. Solopartien von Jütte sind auf dem Album nicht vorhanden. Das mag der eine oder andere bedauern. Die Klangfarben des Albums lässt er vor allem Rainer Böhm und noch viel prägnanter Florian Trübsach bestimmen, auch in „Seven Daily Sins“. Ausgeprägt ist bei diesem wie auch anderen Songs des Albums das Lyrische. Dies führt zu Hörfarben, die ansprechend sind. Nein, grelles Lila oder Gelb ist beim Hören der Musik nicht vorstellbar, eher dunkle Blautöne. Die Musik ist nicht aufreizend, sondern eher ruhig und abwartend.
Zum Schluss begeben wir uns in den Raum der Traurigkeit, auf Englisch „Room of Sadness“. Klagend und wehmütig kommt Florian Trübsbach am Saxofon daher. Hier und da hört man Schneebesen über Felle streichen. Selten gesetzt werden Akzente des Tastenklangkörpers. Hört man zu, dann muss man unwillkürlich an Trauermusik denken, an ein musikalisches Memento mori. Vielleicht sollte man solche Musik nicht gerade in der dunklen Jahreszeit hören. Winterdepression kann man so nicht vertreiben. Doch ist eine wenig aufgeregte Musik, die uns das Quartett präsentiert, gerade in aufgeregten Zeiten ein wichtiger Kontrapunkt, um Einhalt zu finden, um zur Besinnung zu kommen, oder?
Text © ferdinand dupuis-panther
Informationen
Label
Unit Records
http://www.unitrecords.com
Musiker
Bastian Jütte
http://www.bastianjuette.com
http://www.bastianjuette.com/index.php/multimedia/videos