AVA Trio - Digging the Sand
A
Marocco Music
Der Baritonsaxofonist Guiseppe Doronzo hat in der Vergangenheit schon aufhorchen lassen, ist er doch ein Grenzgänger zwischen klassischer Musik, Improvisationskunst und außereuropäischer Musik. Zu denjenigen Musikern, mit denen er bereits aufgetreten ist gehören die Saxofonisten Joe Lovano und Chris Potter, der Posaunist Robin Eubanks und die Trompeter Paolo Fresu, Ralph Alessi und Taylor Ho Bynum. Aus Barletta in Italien gebürtig lebt Doronzo nunmehr in Amsterdam. Neben seinem experimentellen Quintett Falga schuf er 2015 das AVA Trio. Zum besten Debütalbum wurde Doronzos 2018 erschienenes Album“Goya” gekürt.
Zum genannten Trio gehört neben Doronzo der aus Zürich stammende Perkussionist Pino Basile. Auch er weist eine Bandbreite musikalischer Erfahrungen auf, von Jazz über Theatermusik bis Tanz. Auf der Einspielung “Digging the Sand” spielt Basile Tamburello (Tamburin), Bedir (eine Rahmentrommel) und Cupaphon, im Deutschen Rummeltopf genannt. Es ist eine Trommel, deren Membran mittels Ziehen durch einen in die Membran gestochenen Stab zum Vibrieren gebracht wird. Dritter im Bunde ist der aus der Türkei stammende Bassist Esat Ekincioglu, der auch im Metal Rock und in türkischer Popmusik zuhause ist.Im Übrigen tritt er auch in deutschen Klubs mit der Jazz-Punk-Band Kuhn Fu auf.
Was man beim Graben im Sand finden kann, zeigt das Albumcover; eine von Kohlestaub überzogene Hand mit einem bräunlichen Edelstein. Steht das stellvertretend für die musikalische Entdeckungsreise, auf die uns die drei Musiker mitnehmen?
Der Feder Doronzos entstammen sechs der acht Kompositionen des Albums, so „Cala dei Turchi“ und „Distanze“, Anfang und Ende des aktuellen Albums. Ekincioglu steuerte „Tosun Kacti” und „Ayi Havasi” zum Album bei.
Doronzo scheint in „Cala dei Turchi“ mit seinem Baritonsaxofon den Wind einzufangen, der über die Sanddünen der Wüste streicht und Sandkorn um Sandkorn abträgt. Dabei verliert er sich nicht ausschließlich in den tiefen Lagen seines Instruments. Für das Tieftönige sorgt der Bassist und für die Rhythmik der Perkussionist mit gezieltem Schwingen des Fells seiner Rahmentrommel (?). Noch ein Bild drängt sich beim Hören auf: Schaukelnde Kamelrücken, die sich auf- und abbewegen, sobald die Karawane dahinzieht. Sehr fein, ohne Schnarren, zupft der Bassist die Saiten seines Instruments. Mit Verve agiert der Perkussionist, sodass im Zusammenspiel der drei Musiker der Orient ganz nahe ist. Im „orientalischen Duktus“ verharrt auch die Komposition „Espero“. Dabei vernimmt man als Rhythmuselement ein Tamburin. Auch in diesem Stück meint man eher ein Tenor- als ein Baritonsaxofon zu vernehmen, das obendrein von Sanftmut und nicht Übermut geprägt ist. Sehr schöne wellige Melodielinien präsentiert uns Doronzo. Dabei ist er nie vorlaut, sondern unterstreicht mit seinem Spiel eine gewisse Verwegenheit, aber nie das sonst bei Saxofonisten oftmals übliche marktschreierische Gehabe. Weihrauchduft atmet dieses Stück, zudem Sandelholz und den Duft allerlei anderer Spezereien. Ein klassisches Schlagzeug vermisst man nicht. Rahmentrommel und Tamburin sind völlig stimmig Teil der Darbietung, die sehr temporeich ist, ohne in die Ekstase von Derwischen auszuarten.
Gegenüber den ersten beiden Stücken des Albums gibt sich „Fadiouth“freier, improvisierter, nach neuen Feldern suchend. Solistisch ist Guiseppe Doronzo unterwegs und lotet dabei die Bandbreite des Baritonsaxofons aus, gleichsam melodische Schleifen anstimmend. Melodische Fragmente aus den vorherigen Stücken werden dabei aufgegriffen und weitergesponnen. Eine Szene mit Musikanten in der Medina von Fez oder Marrakesch drängt sich auf. Der Widerhall der Musik in den engen Gassen ist darin eingeschlossen. Ausgelassenheit signalisiert der Baritonsaxofonist. Tieftongetöse und leicht schwirrendes und flatterndes Rhythmusspiel ist zudem angesagt. Brummend geht der Bassist seines Weges, derweil die Linien des Saxofons wie schmale Wolkenbänder dahinziehen. Zum Ende hin nehmen wir dann auch eher sehnsüchtig klingende Passagen wahr.
Zum Crossover des Albums gehört „Tosun Kacti”: Eröffnet wird die Komposition vom Bassisten des Trios, der seine Saiten lang ausschwingen lässt. Nach der langsamen Einführung nimmt das Stück nachfolgend Tempo auf und spätestens, sobald Doronzo seinen Holzbläser ins Spiel bringt und ein dynamischer Rhythmus eingefügt wird, ist der Orient oder zumindest das Klischee des Orients präsent, einschließlich Schlangenbeschwörern und Bauchtänzerinnen. Doch vernehmbar ist auch ein stilistischer Bruch, der das Stück beinahe in ein Klagelied verwandelt. Das dunkle Vibrieren des Saxofons verheißt für Momente aufkeimende Gefahr. In eine Art Minnegesang scheint nachfolgend der Bassist zu verfallen,
Zum Schluss heißt es „Distanze”: Dieses Stück versprüht nochmals Lebensfreude pur. Da scheint es kein Halten zu geben. Temporeich ist das Stück, wozu auch der Perkussionist beiträgt. Die dominante Klangfarbe versprüht jedoch der Baritonsaxofonist. Gemeinsam lässt das Trio Bilder von einem opulenten Dorffest entstehen, zu dem Musikanten aus nah und fern gekommen sind. Hören wir neben dem Saxofon nicht auch eine Zuma? Spätestens dann sind wir im Orient angekommen, oder?
Text © ferdinand dupuis-panther
Informationen
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