Athina Kontou Mother – Tzivaeri
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Über das Album lesen wir im Pressetext unter anderem nachstehende Zeilen: „Griechisch geprägter Jazz: Die Kölner Bassistin Athina Kontou demonstriert auf ihrer Debütplatte eindrucksvoll, wie willkürlich und überflüssig geografische, kulturelle oder traditionelle Demarkationslinien sind. Ihre Musik ist eine große Einladung an alle, die einfach ohne Vorbehalt hören und staunen wollen.“ Nun ein solches Statement ist einsichtig. Zugleich ist jedoch hinzuzusetzen, dass die Vorstellung von Griechenland und Musik gewiss auch durch den Film „Alexis Sorbas“ und Sirtaki, durch die Musik von Mikis Theodorakis und von Maria Farantouri geprägt wurden.
Nun also hat sich die Bassistin Athina Kontou aufgemacht, griechische Volksweisen mit veritablem Jazz zu verknüpfen. Bekannt ist die Bassistin für ihre bisherige Zusammenarbeit mit der Saxofonistin Luise Volkmann und mit dem Pianisten Johannes Bigge. Auf dem aktuellen Album ist die Bassistin ebenso zu hören wie die bereits erwähnte Luise Volkmann (Sopran- und Altsaxofon). Sie bilden zwei Säulen des Jazz-Quartetts „Mother“. Die beiden anderen Säulen bilden der Pianist Lucas Leidinger und der Drummer Dominik Mahnig. Als Gäste bereichern der Oud- und Bouzouki-Spieler Epaminondas Ladas sowie Koray Berat Sari auf der Lavta, auf einer türkischen Laute, das Quartett.
Und in einem O-Ton ist von Athina Kontou Folgendes zu vernehmen: „Die griechische Musik kommt nicht ohne Saiteninstrumente aus. Ich verspürte den Wunsch, mit einem Jazzquartett zu spielen. Das Sopransaxofon erschien mir als ideale Brücke zwischen der Klarinette, die oft in der traditionellen Musik vorkommt, und dem Signatur-Sound des Jazz. Die minimale Präparierung des Flügels ist eine Art Reminiszenz an die typischen Saitenklänge der griechischen Musik. Mit den beiden Gästen auf den Saiteninstrumenten verschmelzen wir aber zu einer festen Einheit ohne Brüche.“
Die Bassistin beschäftigte sich für die Gestaltung des Albums mit den Liedern ihrer Kindheit, die teilweise türkischen und armenischen Ursprungs sind, so auch „Harmandali“. Der Titelsong des Albums ist ein sehr bekanntes Volkslied vom Dodekanes, in dem es, wie in so vielen traditionellen griechischen Liedern, um Auswanderung geht.
Nein, entfesselte Balkantänze und Balkanova sind nicht Teil des Albums. Eher vermeint man Wehmütiges und Schwermütiges zu vernehmen, wie das auch beim Fado der Fall ist. Selbst Annäherungen an Klezmer spielen bei den verschiedenen Aufnahmen mit. Kristallin-zerbrechlich erscheinen die musikalischen Linien zu Beginn von „Fissa Psichi Mou“, ehe der Duktus sich dem Balladenhaften und danach dem Tänzerischen hinwendet. Perlendes Klavierspiel ist eine wesentliche Komponente des Arrangements. Das ist voller Dynamik, aber nicht entfesselt und grenzüberschreitend. Beschwörend erscheinen die nachfolgenden Passagen, die eher die Assoziation an den türkischen Basar und Serail zulassen. Es ist wohl Luise Volkmann, die uns nach Kleinasien entführt, dorthin, wo bis 1922 sehr viele Griechen lebten. Diese wurden von dort vertrieben und ließen sich unter anderem in Piräus nieder.
Ein schnarrender Bass eröffnet „Stin Archi Ton Tragoudion“. Lang schwingen und knarzen die Saiten des Tieftöners im Weiteren. Dazu schwirren die Becken. Hinzugefügt sind klirrende Tonsilben des Pianos. Weich und sonor ist der Klang des Saxofons, das Luise Volkmann spielt. Hier und da fühlt man sich beim Hören an Minnegesänge erinnert, vor allem aber an türkische Kunstmusik. Griechenland scheint fern und die Levante sehr nahe. Der Gang durch die Medina ist präsent und weniger die antiken Stätten von Athen. Zugleich aber ist auch das Impulsive, das Ausufernde, das Gestische des Jazz gegenwärtig, dank an den Pianisten im Zusammenklang mit dem schnurrenden, röchelnden und exaltierten Saxofon Volksmanns. Im Anschluss lässt Lucas Leidinger uns übrigens eine dahin gleitende Melodielinie bis zum Ende des Stücks erleben.
Bei „Leventikos“ haben wir dann erstmals den Eindruck von ausgelassener Tanzfreude auf dem Balkan, vernehmen auch flötengleiche Passagen und müssen dabei zugleich vielleicht an irische Volksweisen denken. Doch „Balkanova“ überwiegt ohne Frage. Hier und da vernimmt man ein Hackbrett, oder? Zudem dringen „tanzende Sticks“ an unser Ohr. Unter das Tänzerische jedoch mischt sich auch ein Hauch von Melancholie und der Klang von Kuhhörnern und türkischen Blasinstrumenten wie Zurna oder Kaval. In der Besetzungsliste jedoch sind diese Musikinstrumente nicht aufgeführt, sodass man annehmen muss, dass Luise Volkmann all diese Höreindrücke auf ihren Saxofonen hervorruft. Großartig!
„Harmandali“ steht als nächstes auf dem Programm und zugleich vernehmen wir eine wenig nachklingende Laute, wahrscheinlich eine Oud, möglicherweise aber auch eine Lavta, die von Gastmusikern gespielt werden. Sehr konzertant und darin ähnlich wie barocke Gitarrenmusik erscheint das Stück. Eine gänzlich andere Klangfärbung, nämlich die von Klangschalen und perkussive Momente, erleben wir bei „Anixe Giati Den Antecho“. Getragen wie in einem Fado erhebt Luise Volkmann ihre Stimme. Zugleich muss man auch an Klezmermusik denken, wie sie Giora Feidman auf seiner Klarinette vorträgt. Schmerz, Leid, Sehnsucht, Abschied – all das scheint sich in diesem Stück zu bündeln. Aber freie Impro und gelegentlich Noise Music findet in dem Stück gleichfalls Einzug, oder? Doch im Kern bleibt es vom Charakter her schwermütig und auch in gewisser Weise tragisch.
Bouzouki und Saxofon vereinen sich bei „Tsamikos Kozanis“, um auf dem dörflichen Tanzboden für schwungvolle Tänze zu sorgen bzw. für die Unterhaltung bei einem Hochzeitsumzug vom Haus der Braut zu dem des Bräutigams. Und ist da nicht auch ein Akkordeon zu hören? Flötenspiel kommt hinzu, oder? Und so entwickelt sich ein munteres, ausgelassenes Spiel. Ein Hörgenuss ist bei diesem Stück auch das Solo des Bouzouki-Spielers mit seinem sehr rhythmisch strukturierten Duktus.
Getragen und daher nicht so ausgelassen wie „Tsamikos Kozanis“ kommt „Tzivaeri“ daher. In diesem Stück bekommt wie in anderen Stücken das Melancholische einen Raum. Man meint, das Stück bewege sich zudem zwischen Ballade und Lullaby, oder? Und zum Schluss hören wir „Parapono - I Xenitia“. Das Fazit: Fusion oder Weltmusik – das Etikett scheint unwesentlich. Wichtig ist die Melange, die die Bassistin Athina Kontou uns präsentiert und dabei die Genregrenzen zum Verschwinden bringt.
© ferdinand dupuis-panther
Info
https://athinakontou.jimdofree.com/
Tracks
01. Fissa Psichi Mou
02. Stin Archi Ton Tragoudion
03. Leventikos
04. Harmandali
05. Anixe Giati Den Antecho
06. Tsamikos Kozanis
07. Tzivaeri
08. Baiduska
09. Parapono - I Xenitia