Arik Strauss – Solitude
A
OPM Records
Zu Beginn gestatte ich mir aus der Korrespondenz übers aktuelle Album mit dem Pianisten Arik Strauss zu zitieren, der unterdessen im Süden Frankreichs lebt, nachdem er zuvor in Berlin heimisch geworden war: „The album captures the essence of loneliness, hope, and resilience and finding inspiration in personal experiences, nature, and the changing seasons. The decision to record the album as a piano solo was influenced by the pandemic challenges and a personal inclination towards a more intimate expression. The release, sponsored by the Senatsverwaltung für Kultur und Europa, Berlin, marks a significant milestone, and will be complemented by an upcoming second album featuring the works of my grandfather, Arie Ludwig Strauss, recorded during the same Berlin sessions. Vocalist Sigal Adler Strauss joins me on two tracks, adding, in my opinion, an emotional layer to the melodies. In the press release it states that this album stands as a "testament" to my ability to transform personal experiences into a musical journey that transcends the piano keys.“
Schon der Albumtitel lässt Assoziationen freien Lauf, auch in Hinblick auf die Komposition von Duke Ellington namens „In my solitude“. Bekannt wurde das Lied über die Einsamkeit durch Billie Holiday. Doch auch Ella Fitzgerald, Etta James und Nina Simone hatten dieses Stück in ihrem Repertoire. Nun, angesichts der sozialen Isolation während der Pandemie und des Lockdowns liegt es nahe, sich mit Einsamkeit zu befassen, mit der Abgeschiedenheit, mit dem Verzicht von sozialen und öffentlichen Kontakten. Um es gleich an dieser Stelle einzufügen Strauss interpretiert auf seinem aktuellen Album die Ellington Komposition nicht. Statt dessen sind eigene Kompositionen des Pianisten zu hören und auf zwei Einspielungen auch der lautmalerische Gesang von Sigal Adler Strauss.
Aufgemacht wird das Album mit „Have no fear believe in hope“. Wir nehmen einen sanft dahin gleitenden Melodiefluss wahr. Fein gesetzt sind die Klänge. Nicht nur eine distinkte Basslinie ist zu hören, sondern auch perlendes Diskant. Dabei scheint die Melodie Tautropfen zu gleichen, die vom ersten Morgenlicht getroffen werden. Hier und da nimmt man auch Fragilität wahr. Kann das als Fingerzeig auf die Zerbrechlichkeit von Hoffnung gedeutet werden? Nachfolgend lauschen wir dem Stück „Floating River“. Angesichts der Umspielungen und der gleichsam sprudelnden Klangfolgen meint man, Arik Strauss habe einen Wildwasserfluss musikalisch eingefangen, der mal Fahrt aufnimmt und mal auch langsamer dahin fließt. Zu hören ist auf diesem Stück gleichsam als zweite Stimme zur Klavierlinie der „instrumentale Gesang“ von Sigal Adler Strauss. Deren Vortrag hat nichts mit Versen zu tun oder mit Rezitation oder klassischen Scat Vocals, sondern mit reinem Stimmfluss.
Mit sehr von Energie aufgeladenen Tastenfolgen, teilweise schon ein wenig von einem Tanzrhythmus inspiriert, wartet „Peace March“ auf. Man kann sich beim Zuhören durchaus vorstellen, dass hier die Musik eines Couplets vorgetragen wird. Nur der entsprechende Gesang von Claire Waldoff fehlt noch, oder? Eine klassische Marschform hat das Stück keineswegs, obgleich das der Titel impliziert. Auffallend sind vor allem die diskanten Klangfolgen zu einem sich wiederholenden Bassschema. Anschließend hören wir „Solitude“: Während die oben zitierte Komposition von Ellington durchaus von Wehmut und Schwermut geprägt ist, ist davon bei Strauss’ Komposition überhaupt nichts zu spüren. Da muss man eher von einem Ausdruck von Lebensbejahung reden. Ohne Frage gibt es starke lyrische Ausformungen, die aber nie melancholisch klingen oder gar Anleihen an den Kompositionen von Grieg oder Sibelius nehmen. Letztere sind ja wahrlich von einer gewissen nordischen Melancholie geprägt.
Auf dem Album widmet sich Strauss auch dem Wechsel der Jahreszeiten und der unbändigen Natur, so unter anderem im „Winter Song“.“ Ebenso ist „Snow“ in diesem Kontext zu sehen. Sehen wir da in „Winter Song“ die Umsetzung von fallenden Schneeflocken, lauscht man den Klangfolgen im Diskant? Und auch bei der Umsetzung dieses Stücks erhebt Sigal Adler Strauss ihre Stimme über teils „rollendem“ Klangfluss. „My friend Ido“ ist einem Freund von Arik Strauss gewidmet, der die Pandemie nicht überlebt hat. Würde man da nicht ein Lamento oder ein Requiem erwarten, getragen und in dunklen Klangfärbungen? Doch von all dem ist nichts zu hören. Es erscheint eher so, dass Arik Strauss die Geschichte seines Freundes und die Beziehung zu ihm erzählt. Nichts ist zudem von Abschied oder Abschiedsschmerz herauszuhören. Ausgeprägt ist auch hier die Divergenz zwischen dem Bass- und Diskant-Spiel, Letzteres sehr losgelöst und verspielt, teilweise auch kristallin anmutend. Zudem fand das Stück „Ahuva“, eine Hommage an Arik Strauss Schwiegermutter, Aufnahme in das Album und zum Schluss eine weitere Version des Eröffnungsstück. Damit endet ein sehr konzertantes Album, das den einen oder anderen durchaus nachdenklich stimmen kann. Ganz bewusst scheint Arik Strauus Kontemplation als Teil des vorliegenden Solopianovortrags anzusehen, oder?
© ferdinand dupuis-panther