Antoine Pierre: Urbex (ferdinand dupuis-panther)
A
Igloo Records IGL 268
Der Drummer Antoine Pierre hat sich für dieses Album mit nachstehend genannten Musikern zusammengetan: Bert Cools (Guitar), Bram De Looze (Piano), der auch bei LabTrio spielt, Steven Delannoye (Clarinet, soprano sax, tenor sax), Jean-Paul Estiévenart (Trumpet), Fréderic Malempré (Percussion), Toine Thys (Clarinet, Compositor, soprano sax, tenor sax) sowie Félix Zurstrassen (electric bass, Double Bass). Als Gäste sind zudem der Gitarrist Lorenzo di Maio auf der Einspielung der Songs „Urbex“ und „Ode to my moon“ sowie David Thomaere (additional keyboards) in den Songs „Who planted this tree“ und „Urbex“ zu hören.
Dass es sich um durch und durch urbanen Jazz der Gegenwart handelt, verdeutlicht bereits das Cover, das ein schwebendes, aus Wolkenkratzern und Wellenhügeln bestehendes großes U wie in der Kennzeichnung von U-Bahnhöfen zeigt. Zudem ist ein im Dunst versunkener Stadtumriss auf dem Cover zu sehen. Außerdem findet man Fotos des urbanen Betondschungels und einer aufgegebenen Industrieanlage auf der übrigen Albumhülle.
Mit „Coffin for a Sequoia (to Basquiat)“ wird das Album aufgemacht. Das ist nicht der einzige Song, der sich mit der Natur befasst, denn eingespielt wurden außerdem „Litany For An Orange Tree“ und „Who Planted This Tree?“. Der namensgebende Albumtitel „Urbex“ findet sich unter den Songs ebenso wie ein „Dutzend Marionetten“ („Les Douze Marionnettes“). Die Welt des Urbanen spiegelt „ Metropolitan Adventure“ wider. Zum Schluss hört man ein Loblied auf den Mond, aber nicht auf den „Mann im Mond“: „Ode To My Moon“.
Hört man da einen Zug rattern, wenn man das Schlagwerk von Antoine Pierre vernimmt? Gesellt sich da nicht auch der Perkussionist Fréderic Malempré dazu? Wie das Fallen dicker Regentropfen, die dichter und dichter werden, hört sich an, was Bram De Looze seinem Tasteninstrument entlockt. Sehr lyrisch ist der Gitarrist Bert Cools eingestellt, dessen Spiel durchaus etwas von Popmusik hat. Mächtig ist die „Wortwahl“ der Bläser, die sich in einer Art Intermezzo bemerkbar machen. Dabei ist der orchestrale Ansatz nicht zu überhören. In den Solos der einzelnen Bläser – Saxofon und Trompete – vermeint man, eine gewisse Wehmut herauszuhören. Diese schlägt jedoch in urbane Geschäftigkeit um. Man achte in diesem Kontext sehr genau auf das Agieren der beiden Saxofonisten der Band. Im Weiteren hört man „urbane Street Art“. Verwundert das, wenn man den Zusatz zum Songtitel liest, der sich doch wohl auf den us-amerikanischen Street-Art-Künstler Basquiat bezieht?
Eigentlich wird ja der Sarg für einen Mammutbaum „Coffin for a Sequoia (to Basquiat)“ besungen. Doch beim Zuhören drängt sich eher urbaner Alltag auf. Die Natur scheint fern, die riesigen Mammutbäume auch. Die Charakterisierung für die Gestaltung des Songs als gefällig ist nicht abwertend gemeint, sondern umschreibt den Tatbestand, dass die Band keine vertrackten und verkopften Improvisationen vorstellt, sondern ein klares Grundthema variantenreich ausbreitet und dabei durchaus eben stellenweise auch Popmusik macht, sprich populäre Musik, die jeder begreifen kann, auch jenseits eines musikwissenschaftlichen Proseminars.
Lauschen wir nachfolgend wie „Who planted this tree“ klingt: Blech scheppert und vibriert. Im Gleichlauf bewegen sich die Läufe von Piano und Gitarre, ehe dann die Bläser die Hörfarben zum Funkeln bringen. Auch bei diesem Song hat man angesichts der Allmacht der „Hörner“ den Eindruck, man verfolge eine kleine Big Band. Eingestreut wird gleich zu Beginn ein Schlagwerksolo von Antoine Pierre, bei dem sehr viel Blech im Spiel ist, ganz zu schweigen von hart gespannten Fellen. Die Gitarre von Bert Cools „singt“ im Hintergrund. Ist da nicht ein Sopransaxofon zur Stelle, um ausschweifende Klangwolken zu erzeugen? Und dann wieder nimmt für kurze Zeit Antoine Pierre das rhythmische Zepter in seine Hand, vordergründig und hintergründig. Kristallen klingt derweil das Gitarrenspiel von Bert Cools, ehe dann erneut das Thema im Tutti angesprochen wird. Eine besondere „botanische Note“ ist dem Song jedoch nicht zu entnehmen.
„Urbex“ hört sich wie urban und exotisch an. Vergegenwärtigt man sich jedoch die Cover-Abbildungen, dann meint die Komposition wohl den unwirtlichen Dschungel der Metropolen mit ihren Wolkenkratzern. Exotisch scheint dieser Bezug überhaupt nicht, sondern Alltag zwischen Sydney, New York, Frankfurt und London. Schlägt da nicht gerade eine Uhr, nach deren Takt die Großstadt lebt? Dann wiederum ist solistisch ein Saiteninstrument zu hören, dessen schwingende Saiten durch das Drehen an den Wirbeln stets verändert werden, oder? Bisweilen klingt es so, als ob ein Berimbau den Kanon der Instrumente erweitert. Doch ein solches Instrument ist nirgendwo auf dem Album vermerkt. Was man aber sagen kann, ist, dass das Perkussive den Beginn des Songs bestimmt. Erst nach geraumer Zeit fällt der Pianist mit einem teilweise sehr basslastigen Spiel in das perkussive Modul der Komposition ein.
Die Allgewalt der Bläser lässt jedoch nicht lange auf sich warten. Dazu gehört auch das „Geschmetter“ von Jean-Paul Estiévenart, das sich aber alsbald ins Narrative verändert. Schnurrend und quiekend gibt sich einer der Saxofonisten der Band. Da es leider keine Angaben über die jeweiligen Solisten gibt, kann hier auch nicht erwähnt werden, ob Toine Thys oder Steven Delannoye dabei am Werke ist. Bei „Urbex“ gewinnt man schnell den Eindruck, hier werde der urbane Alltag mit seinen Reizzonen umschrieben.
Abschließend „besingt“ die Band den Mond. Wessen Mond ist das denn, wenn der Titel „Ode to my moon“ heißt? Der Mond von Antoine Pierre, der sich anfänglich ganz nachhaltig mit kurzen „Stakkato-Interventionen“ ins Gespräch bringt? Doch der Stimmgewalt der „Hörner“ hat er eigentlich nichts entgegenzusetzen. Nein, Serenadenklang ist nicht auszumachen. Eher verkündet ein „Saxofongeflüster“ von der Nacht, in der alle Katzen grau sind. Zugleich drängt sich der Eindruck auf, die Bläser würden ein gemeinsames Hohelied anstimmen. Bleche schwingen und sorgen für viel Wirbel, derweil sich der Gitarrist Bert Cools seinen kristallinen Klangwelten hingibt.
Das vorliegende Album verbindet aus meiner Sicht geschickt Elemente von Jazz, Fusion und Pop, ohne in die Fußstapfen von Instrumental-Pop zu treten oder in reine elektronische Musik abzudriften. Es klingt nach 21. Jahrhundert, ohne dabei die Wurzeln des Jazz zu verleugnen.
Text © ferdinand dupuis-panther
Informationen
Label
Igloo Records
http://www.igloorecords.be
Musiker
Antoine Pierre
http://antoinepierre.be/