Angelika Niescier - Now
A
bpm/Indigo, Indigo 980082
Es gibt Trios und Trios, es gibt klassische Jazztrios, wahrscheinlich wie Sand am Meer, aber es gibt auch eher avantgardistische Trios, weniger in Hinblick auf die Art des Jazz als vielmehr hinsichtlich der Besetzung, so wie im vorliegenden Fall. Die aus Stettin gebürtige Saxofonistin Angelika Niescier hat sich musikalisch mit zwei italienischen Jazzern verbandelt: Simone Zanchini (accordion) und Stefano Senni (bass).
In Alto Adige fing es an
Angelika Niescier wurde 2010 mit dem deutschen Musikpreis ECHO ausgezeichnet. Sie spielt in unterschiedlichen Formationen, Solo und Duo, im Trio und auch im German Women Jazz Orchestra. Nun legt sie uns eine Einspielung mit zwei virtuosen Musikern aus Italien vor, die sie auf dem Jazzfestival Alto Adige (Südtirol) kennengelernt hatte. „Now“, die aktuelle CD, folgte dabei auf gemeinsame Auftritte in Südtirol. „Kraftvoll, klar, kreativ“ lautet das Kurzurteil des Deutschlandfunks. Also, dann lauschen wir mal von „Now“ bis „Then“, von „Two Sides of a Coin“ bis „You are too Beautiful“. Upps, heißt der Titel wirklich so und nicht „You Are So Beautiful“? Ach ja, letzterer Song ist ja durch den unlängst verstorbenen röhrenden Joe Cocker bekannt geworden. Vielleicht wollte sich die Bandleaderin des Trios augenzwinkernd von diesem „Evergreen“ abheben.
Zum Zusammenspiel mit den beiden italienischen Musikern sagt Niescier:“ Das Herausfinden, worum es eigentlich geht, texturtechnisch und musikalisch, ist sehr natürlich und intuitiv verlaufen. Und hat große Freude gemacht.“ Hinzufügen sollte man, dass hoffentlich mit dem ersten nicht auch schon das letzte Album des Trios veröffentlicht wurde. Schauen wir mal.
Mit Schnalzen fängt alles an
Ein schnalzendes, schmatzendes Saxofon lässt sich zu Beginn von „Now“ vernehmen, ehe dann Simone Zanchini sein selbst entworfenes Akkordeon ertönen lässt. Bei Akkordeonmusik erwartet man entweder Schrammelmusik oder aber Tango. Doch beides hat der italienische Akkordeonist nicht in seinem musikalischen Köcher. Sein Spiel erfolgt in Halbtonschritten, so hat man den Eindruck. Jagende Passagen sind zu hören. Sie klingen wie ein aufgeregtes Hin und Her, wie ein unstetes Suchen ohne wirkliches Ziel. Sobald aber Angelika Niescier das Wort ergreift, ändert sich auch die Hörfarbe. Hören wir nun gerade die Musik zu einem Experimentalfilm, fragen wir uns? Nur sehr kurz und mit jähem Ende sind die Balkanweisen, die an unsere Ohren drängen. Gleichsam in einen Wettstreit begeben sich Akkordeon und Saxofon im Nachgang. Nachdem der Wettstreit abgeebbt ist, erhält das angespielte Thema eine eher elegische Note. Das Saxofon trillert und das Akkordeon tönt spitzt – dann ist alles plötzlich vorbei, im Hier und Jetzt. Sehr stark erinnert der zweite Titel des Albums an typische osteuropäische Volksweisen. Eingängig ist die Melodieführung. Bei den Phrasierungen auf dem Saxofon scheinen stets die grundlegenden Melodiestrukturen durch. Der Bass erweist sich als steter, stützender Begleiter des Saxofons. Solos von Saxofon und Akkordeon sind zu hören, aber der Bass nimmt sich eher zurück. Ist der Titel „Kare Konie A Gdzie Moja“ nicht eine Aufforderung zum Tänzchen? Man möchte es fast meinen, wenn man die Melodie des Stücks vernimmt.
Danach und dann?
Wir sind mit dem Trio nicht nur im Jetzt, sondern auch im Danach, nämlich dann, wenn „Then“ gespielt wird. Es ist eine verhalten, zurückgenommen und bedächtig daherkommende Komposition, bei der sich das Saxofon zunächst in Schweigen hüllt. Hört man sich in den Titel ein, bei dem Niescier selbstverständlich wie auch bei anderen ihrer Kompositionen im weiteren Fortgang eine tragende Rolle spielt, dann umfängt uns Herbststimmung. Nebelschwaden ziehen übers Land. Karg und abweisend wie Island ist die Landschaft, die wir uns zur Musik vorstellen. Das sind Bilder, die sich aufgrund der Musik aufdrängen. Eine gewisse Langsamkeit erfasst uns, wenn die Musik dahinschwebt. Ganz am Ende des Titels ist dann auch Stefano Senni mit seinem Bass mal mehr im Vordergrund zu hören. Abrupt endet dieser Song ohne Nachklang und Ausschwingen.
Sehr flott ist das Stück „Ció La Puntina Che Mi Salta“ angelegt, ohne dabei in einen Polkar- oder einen anderen Tanzrhythmus zu verfallen. Im Verlauf des Stücks stellt sich heraus, dass auch einem Akkordeon spitze, schräge Töne zu entlocken sind. Bisweilen klingt es dann eher wie ein Synthesizer. Dazu rumort, schreit und kreischt das Saxofon, um ja Gehör zu finden. Überhaupt nicht eingängig in der Melodie ist die Komposition „Two Sides Of A Coin“. Wer den Filmklassiker „Kuhle Wampe“ und die Musik von Weill und Eisler kennt, glaubt das Angelika Niescier hier die eine oder ander Anleihe genommen hat.
Zum Schluss erzählt uns das Trio noch die Geschichte des plötzlichen Todes des Anarchisten, ehe mit „You Are Too Beautiful“ das Finale eingeläutet wird. Das Saxofon flirrt ein letztes Mal, auf Knopfdruck erklingt das Akkordeon und dann ist auch Schluss. Fazit: ein gelungenes Debütalbum des Trios mit kraftvoller und groovender Musik, die hier und da auch einen folkloristischen Einschlag aufweist.
© ferdinand dupuis-panther
Informationen
Label
http://bluepearlsmusic.com/
Musiker
Angelika Niescier
http://www.angelika-niescier.de/