Andrea Keller / Wave Riders - Systems Over-Ride
A
Self produced
Über das jüngste Album der in Melbourne lebenden Pianistin Andrea Keller lesen wir unter anderem: „The quintet performs Andrea’s music with grit and spontaneity; bringing together her somewhat disparate fascinations of free jazz and doom metal, combined with potent harmonies and yearning melodies. Dichotomous relationships abound as she grapples to reconcile the brutal and the beautiful, all the while focussed on stripping back, and connecting, within acts of kindness, and solidarity.“
Wie dahin schwebender Nebel mutet die Musik an, die bei „Linger“ an unser Ohr dringt. Winde scheinen leise zu rauschen. Und dann setzt der Schlagzeuger ein und durchbricht den Klangfluss. Zugleich vernimmt man satte Bassklänge und Maschinengeräusche wie zischende Ventile. Ein Saxofon echauffiert sich. Wird nur das Mundstück des Saxofon in der Folge gespielt, fragt man sich angesichts der hohen Pfeiftöne, die ans Ohr des Zuhörers dringt. Und am Ende meint man gar ein Nebelhorn erhebe sich über allem. Lyrisches Klavierspiel zieht an uns beim Hören von „Systems Over-Ride I“ vorbei, begleitet von Getrommel auf Bongos, so könnte man meinen. Doch solche sind im Line-Up nicht aufgeführt. So tanzen denn wohl die Finger des Drummers über hart gespannte Felle von Toms mit Zäsuren der Basstrommel. Jack Richardson lässt seine Gitarre röhren, rauschen, wimmern und jaulen. Und dann findet sich ein epischer Fluss zu dem hartnäckigen und nervösen Getrommel durch Rama Parwata. Das „Tastenspiel in zwei Linien“ beschwört beinahe etwas von Neoromantik gepaart mit „Wagnergeist“ auf, oder? Aufgewühlt und trotzig, manchmal einer Galoppade gleich, erscheint das Gebläse des Saxofonisten Scott McConnachie, das sich an Andrea Kellers Piano-Phrasierungen anschließt.
Dumpfe tiefe Schläge, aus dem Off entwickelt, bestimmen den Anfang von „Systems Over-Ride II“. Ein Getriller im Diskant folgt und geht in Verwässerungen über, die Andrea Keller mit ihrem Tastenspiel verantwortet. Fragiles wird zu Gehör gebracht. Dazu vernimmt man einen steten Schlag auf ein Blech, das gedämpft wird. Die Musik passt bestens zu einigen symbolistischen Ansichten von Brügge, das Grau in Grau in der Malerei von Fernand Khnopff erscheint. Man könnte bei der Musik auch meinen, hier werde der Flug von Prachtlibellen vertont. Nach und nach dramatisiert sich die Musik, ohne gleich in einen Malstrom zu münden. Im Gegenteil, man muss eher an über Moos rinnendes Wasser denken. Ein anschwellender Grundton entfaltet sich anfänglich bei „Systems Over-Ride III“. Der Ton schwillt an und vergeht, ehe Andrea Keller basslastig ihr Piano erklingen lässt. Beinahe als Wehklagender erscheint der Saxofonist, der anschließend zu hören ist. Man könnte dabei außerdem an eine Abschiedsszene denken. Dunkle Kaskaden bringt die Pianistin im Anschluss ein. Dazu überschlagen sich Verwirbelungen der Becken. Danach vernimmt man dann Akzentuierungen des Tasteninstruments gefolgt von langatmigen sonoren Saxofonpassagen. Wir da nicht eine thematische Grundstruktur erneut in die Abfolge des Stücks eingebracht? Und zum Ende gibt es dann auch noch Sphärenklang zu hören. Das Album enthält noch zwei weitere „Episoden“ von „System Over Ride“, nämlich Teil IV und V.
Becken schwirren und Klanghölzer scheinen gegeneinander zu schlagen bzw. als Windspiel zu agieren, sobald die ersten Klänge von „Silver Leaves“ den Hörer erreichen. Tropfender Regen auf eine glatte Wasserfläche ist zudem Teil der Inszenierung. Sind da nicht auch Klänge des tropischen Regenwaldes in das Stück eingebunden worden? Trimmtrimm – so klingt das Piano in steter Verschleifung. Man muss außerdem an das Rattern von großen Zahnrädern denken, die ineinander greifen. Und dazu kommt dann noch ein wabernder Gleichklang bis zum Schluss.
Fragemente, die zerbrechen und zerfallen, meint man in „I'll Wave To You From The Car“ auszumachen. Ist da nicht auch ein Glockenspiel involviert? Und was wiederholt die eingeblendete Frauenstimme? „Wave“ oder „Life“? Ein Sopransaxofon vereint sich mit einer „synthetischen Klangmelange“, in die auch eine verzerrte Gitarre eingebunden ist. Urbanes Getöse und Kakophonie sind das, was das Stück letztlich ausmacht. Mit „In Solidarity“ und einem erfrischenden Piano-Spiel von Andrea Keller nebst sonoren, weichen Saxofonklängen wird das Album abgerundet. Und dann greift der Gitarrist so richtig in die „Zauberkiste“ und bringt die Saiten zum wimmern, jaulen, schwirren, röhren, röcheln. Gelegentlich meint man gar die Saitenfolgen würden sich überschlagen und Kapriolen wären angesagt.
© ferdinand dupuis-panther
Info
http://www.andreakellerpiano.com.au
Bandcamp
Line-up
Scott McConnachie – saxophones
Jack Richardson – guitar
Andrea Keller - piano
Mick Meagher – bass
Rama Parwata – drum set
Tracks
1. Linger 03:54
2. Systems Over-Ride I 09:12
3. I Missed You So Much 03:13
4. Systems Over-Ride II 06:05
5. Systems Over-Ride III 05:50
6. Silver Leaves 04:51
7. For All The Wrong Reasons 05:55
8. Trio Repercussions 04:39
9. Systems Over-Ride IV 05:30
10. I'll Wave To You From The Car 03:02
11. Systems Over-Ride V 04:42
12. In Solidarity 06:09