Alexis Valet - Explorers (fdp)
A
jazz&people
Vorhang auf für einen Vibrafonisten: Alexis Valet hat für seine Trio-Formation den Bassisten Luca Fattorini (*1988) und den Drummer Antoine Paganotti (*1972) ausgewählt. Ursprünglich war daran gedacht, in dieser Formation Jazz-Standards zu spielen. Doch es kam dann anders, wie man beim Hören des Albums feststellen kann. Klar ist, dass Valet innerhalb des Dreigespanns den Raum erhält, um sein Schlagwerk ganz besonders in Szene zu setzen. Dies wird man bereits beim ersten Stück der vorliegenden CD heraushören. Erkennbar wird auch, dass Valet ein besonderes Talent zur Phrasierung hat und dabei die Klänge, die er den Klangstäben seines Instruments entlockt, perlenden Regentropfen gleichen, die auf Blattwerk und auf den Asphalt der Straße niedergehen. Kaskadierend ist Valets Spiel außerdem angelegt. In Ergänzung zu seinem Trio hat Valet zwei wesentliche Stimmen des europäischen Jazz als Gäste eingeladen, den Pianisten Bojan Z und den Saxofonisten Ben van Gelder.
Das aktuelle Album ist geprägt von Valets musikalischen Visionen, von seinen Klangakzenten, von seiner Suche nach dem Raum der Improvisation. Man könnte das Album sicherlich auch eine „polyglotte Reise“ nennen, vergegenwärtigt man sich die Herkunft der Musiker: Da findet sich ein aus Italien stammender, in Frankreich lebender Bassist, ein franko-japanischer Drummer, ein niederländischer Saxofonist, der die Hälfte seines Lebens in New York zugebracht hat, sowie ein aus dem ehemaligen Jugoslawien stammender Pianist.
Unter anderem lesen wir im Booklet folgende Zeilen über einen Vibrafonisten der Gegenwart: „In his genealogy as a vibraphonist are closely combined the sense of groove of Roy Ayers with the talents—so impressionistic as to be sometimes abstract—of Bobby Hutcherson, as well as the structuring influence of the Dave Holland groups of the 1990s in which Steve Nelson played a key role, the aura of Stefon Harris who has brought the vibraphone into the 21st century notably with the SF Jazz Collective, and the capital importance of Chris Dingman in Steve Lehman’s architectures. However, his expressivity cannot be reduced to the sum of his predecessors on the instrument, because his esthetic intentions and his preoccupations are so focused— from Logan Richardson and Joe Sanders, with whom he has shared the stage in Paris, up to Ambrose Akinmusire, Immanuel Wilkins and Christian Scott—on contemporary creators who are striving to make jazz a music that continues to speaks to the present.“
Noch etwas ist hervorzuheben: Im Jazz, auch dem der Gegenwart, ist das Vibrafon ein eher selten gespieltes Instrument, sieht man mal von Lionel Hampton, Gary Burton und Dave Pike ab. Gewiss in Deutschland hat Wolfgang Schlüter über Jahrzehnte dieses Schlagwerkinstrument zum Schwingen gebracht und in den Fokus gestellt. Auch sei an dieser Stelle auf Wolfgang Lakerschmid und David Friedman verwiesen. Doch generell sind Vibrafonisten ähnlich wie Hammond B3-Organisten Exoten in der Musikwelt des 20. und 21. Jahrhunderts.
Mit „Casual Polyglot“ eröffnet das Trio die Exploration des Klangs: In weichen Wellen ergießt sich der Klangstrom, begleitet von erdigen Bassläufen und kurzen Verwirbelungen des Schlagwerks. Valet lässt bei diesem Stück seiner Spielfreude in nachhaltigen Kaskaden freien Lauf. Hier und da baut er auch kleine Klangstrudel ein. Doch im Kern entwickelt er einen melodischen Fluss, dem es zu folgen gilt. Nachfolgend betreten wir musikalisch die „Plaza de la Alfalfa“. Auch in diesem Stück ist Valet mit seinen Klangvariationen dominierend, sind seine Begleiter Beigaben, wenn auch notwendige Beigaben. Gischt des Klangs lässt der Drummer aufscheinen. In der Schwerelosigkeit bewegen sich die Klangbilder, die Valet malt. Das erinnert an Postimpressionismus, an Farbmeere und flirrende Lichtpunkte. Als Gegenstück zu der von Valet vorgetragenen Leichtigkeit ist der Bassist in seinem von Umbra-Nuancen geprägten Spiel zu hören.
In „Any Sunday With Her“ zeigt sich der Spielduktus eher verhalten und sehr lyrisch. Man kann beim Zuhören nicht nur an einen entspannten Sonntag denken, sondern auch an ein Picknick im Grünen. Bei diesem Stück ist auch Ben van Gelder zu hören. Fein gezeichnete Linien lässt er uns erleben. Es scheint, als würde er den Hauch von Frühlingsgrün in liebliche Klänge umsetzen. Sonor ist das Tenorsaxofon und nicht wie sonst bei diesem Instrument durchaus auch üblich guttural. Pittoreske Klangsaltos sind auszumachen, wenn Valet sich auf van Gelder bezieht und den Klangfaden weiterspinnt.
Nicht aus Valets Feder stammt „Dixie’s Dilemma“ (Warne Marsh). Beinahe Up Tempo erleben wir dieses Stück. Von Stromschnelle zu Stromschnelle nimmt uns Valet zielsicher mit. Kein Wildwasser scheint zu gefährlich, um nicht bezwungen zu werden. Beim Zuhören hat man nämlich das Bild von Wildwasserkanuten im Kopf, die mit ihren stromlinienförmigen Booten und kräftigem Paddelschlag durch das aufgewühlte Wasser eines reißenden Flusses gleiten. In diesem Stück kann man sich auch auf den Bassisten fokussieren, der in einem Solo zu hören ist. Bei seinem Spiel muss man durchaus an das Röhren eines Wildbaches denken. Aufspritzendes Wasser scheint der Drummer in seinen Intermezzos einzufangen. Und danach geht die klangliche Talfahrt weiter, dank an Alexis Valet. Nur kurz ist unsere musikalische Reise, wenn „Voyager“ erklingt. Eine gewisse Hektik ist auszumachen, ein Hierher und Dorthin, so als würde der Reisende zu spät sein, um seinen Zug oder Flieger noch erreichen zu können, als würde er das Gate oder den Bahnsteig suchen und im eiligen Gehen noch auf sein Ticket schauen.
Namensgebend fürs Album ist das Stück „Explorers“. Die anfängliche Aufmerksamkeit gehört dem Saxofonisten van Gelder, der ein wenig ins Melancholische eintaucht. In diesem Stück ist auch Bojan Z zu hören, der durch die Aquarellierungen seines Tastenspiels zu überzeugen weiß. Jeder der Beteiligten, auch Valet, scheinen jeweils das musikalische Umfeld auszuloten. Dabei hat man hier und da Anmutungen, dass dem Post-Bop eine Hommage erwiesen wird. Der Klangkörper des Quintetts scheint raumgreifend, ohne dass das Ensemble als Monolith erscheint. Nuancierungen sind angesagt. Das Paraphrasieren ist das Gebot der Stunde, sodass sich keine offenen Formen, sondern wie in der Malerei des Konkret eine dichte lineare Struktur ergibt. Mit „Hats and Cards“ wird das hörenswerte Album dann schließlich abgeschlossen.
© ferdinand dupuis-panther
Info
https://jazzandpeople.bandcamp.com/album/alexis-valet-explorers