Alexey Kruglov-Jaak Sooäär Quartet - Tchaikovsky

Alexey Kruglov-Jaak Sooäär Quartet - Tchaikovsky

A

ArtBeat Music

Das aktuelle Album entstand zum 180. Geburtstag des russischen Komponisten Pyotr Tchaikovsky (dt. Peter Tschaikowski). Es beinhaltet nicht nur Teile des Balletts „Der Nussknacker“, sondern auch „Der Schwanensee“. In der Literatur finden sich u. a. Bemerkungen über eine Seelenverwandtschaft zwischen Edvard Grieg und Tschaikowski, die beide aus der klassischen Musik des     19. Jahrhunderts nicht wegzudenken sind.

Die Idee zum aktuellen Album kam den beteiligten Musikern Jahre nach dem Erscheinen des Albums “The Mighty Five”. Dieses bezieht sich auf die einst in Petersburg lebenden russischen Komponisten Mily Balakirev, César Cui, Modest Mussorgsky, Nikolai Rimsky-Korsakov und Alexander Borodin. Alexei Kruglov erinnert sich an die Überlegungen zu einem Anschlussprojekt: „Yaak, Tanel, Mikhel, Nikolai Bogaychuk and I began to think about the next project. Almost immediately we decided to implement the program with the music of Pyotr Ilyich, especially since Tchaikovsky had a lot of connections with Estonia - for example his publisher Pyotr Yurgenson was Estonian, and also there is the city of Haapsalu, where Pyotr Ilyich spent the summer of 1867. Later, we managed to take pictures at the famous Tchaikovsky's Bench in Haapsalu, being at the festival named after the composer. One of the benches depicts an old Estonian folk melody that sounds in the Sixth Tchaikovsky Symphony. In preparation for the recording, … we tried to preserve the author's melody with its smoothness, but at the same time bring the material closer to our style.“

Aufgemacht wird das Album mit „Waltz of Flowers“ (dt Blumenwalzer from "Nutcracker"), gefolgt von „Themes of the 1st and 2nd Part of the 5th Symphony“ und „Dance of the Little Swans“ (dt. Tanz der kleinen Schwäne from "Swan Lake") sowie „Dance of the Sugar Plum Fairy“ (from "Nutcracker"). Aufgenommen in die Veröffentlichung wurden zudem u. a. „Autumn Song“ (dt. Herbstlied from "The Seasons") und „The Main Theme of the 1st Piano Concerto“. Den Schlussakkord bildet „Variations on a Rococo Theme“.

Was das Album vor allem verdeutlicht ist die Tatsache, dass die europäische Musikgeschichte vor allem eine Geschichte der klassischen Musik ist, angefangen bei Bach und Händel über Mozart und Beethoven bis hin zu Schubert und Schumann sowie Brahms, um nur einige Komponisten herauszugreifen. Diese Tradition der Klassik findet sich nicht nur im Jazz, wie im vorliegenden Fall, sondern auch in der Rockmusik, man denke an die Brandenburgischen Konzerte von „The Nice“ oder „Gemini Suite“ von Deep Purple. Es geht dem Quartett um den estnischen Gitarristen Jaak Sooäär nicht um die Popularisierung der Klassik – das sei in die Hände von André Rieu und anderen gegeben –, sondern um einen eigenen Zugang zu einer Facette der Musik des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Dabei muss eingeräumt werden, dass Stücke wie der „Blumenwalzer“ eine ähnliche Eingängigkeit wie „Die kleine Nachtmusik“, „Moldau“, „Kaiserwalzer“ oder „Wiener Blut“ besitzen. Es gibt mithin einen hohen Wiedererkennungswert, der durch das Alexey Kruglov-Jaak Sooäär Quartett für ihre eigenständige Klangfärbung und Rhythmisierung genutzt wird. Das reicht bis hin zu Free-Jazz-Anmutungen, oder?

Schon bei den ersten Takten von „Waltz of Flowers“ ist die klassische Einführung und die folgenden Passagen von Flöten und Klarinetten vergessen. Das schnurrende Saxofon und in dessen Fußspuren die E-Gitarre moduliert den Walzer in eine Mischung aus Post-Bop und Cool Jazz. Dabei ist es am Saxofonisten die Klangfärbungen zu bestimmen. Auf die Luftsprünge Kruglovs folgt Sooäär mit seinen Gitarrenpassagen, die weniger an einen klassischen Walzer, sondern eher an schnelle Pirouetten und Edgar Degas Tänzerinnen denken lassen. Eingebettet in das Stück ist auch ein veritables Schlagwerksolo. Viel Blechstaub wird dabei aufgewirbelt, ehe Kruglov wieder das Klangwort führt und am Ende nochmals das Thema zu hören ist. Bei dem Stück „The 5th Symphony“ nimmt uns der Gitarrist mit klanglichen Weichzeichnungen an die Hand. Elegisch klingen die folgenden Einlassungen Kruglovs. Dabei drängt sich dann auch ein wenig Melancholie auf. Diese wird im weiteren Verlauf aufgehoben, weil Kruglov sich in liedhaften Schleifen versteigt. Danach wird es dann sehr rockig, dank an Sooäär. Sonorer Saxofonhauch trifft auf schnelle Saitenspiele, jenseits von Alvin Lee und eher der Tradition der Heroen der Jazzgitarre vcrpflichtet. In diesem Kontext fällt dann vielleicht der Name Attila Zoller, aber auch Erinnerungen an „Friday Nights in San Francisco“ werden hier und da wach. Zudem muss man bei den Saxofonsetzungen auch an Art Farmer denken, oder? Und mitten im Vortrag geht auch Tanel Ruben mit Schlägeln zu Werke, ehe dann das Thema erneut in den Vordergrund rückt, getragen und Sehnsüchte ausdrückend, so könnte man meinen. Sobald der Bassist Mikhel Mälgand in die Saiten greift, meint man den Windhauch zu spüren, der die Ähren eines Kornfeldes streift. Im Nachgang sind dann auch der Gitarrist und der Saxofonist eher lyrisch gestimmt.

Auffallend ist die starke Rhythmisierung beim Vortrag von „Dance of the Little Swans“ (dt. Tanz der kleinen Schwäne), was sich auch im Duett von Saxofonisten und Gitarristen niederschlägt. In der Manier von „The Ventures“ spielt Sooäär nachfolgende Solo-Sequenzen, ehe Kruglov schnurrend-verspielt zu vernehmen ist. Vogelpfeife, Nasenpfeife oder Saxofon – das ist die Frage beim Hören des Anfangs von „Dance of the Sugar Plum Fairy“. Und wüsste man es nicht besser, könnte man meinen, die erfolgreichste Instrumentalrockband der Welt, The Ventures hätte sich Tschaikowski vorgenommen. Oh, und was geschieht dann mitten im Stück? Exaltierte Entgleisung ist zu konstatieren, ehe der Bass für Bodenständigkeit sorgt. Keinem ausgelassenen Tanz, sondern eher einem behäbigen Schreittanz gleicht das, was wir im Weiteren hören. Und dann ist gegen Ende eine erneute gewaltige Klangeruption eingebaut worden, die eher nach Hendrix als nach Tschaikowski klingt.

„Autumn Song“ lässt uns an fallendes buntes Laub denken. Weich gezeichnet sind die Passagen, die Kruglov zum musikalischen Geschehen beiträgt. In dessen Fußspuren wandelt auch Sooäär in seiner Antwort auf Kruglov. Ähnliches gilt für den Bassisten des Quartetts, der uns an sich hebenden Nebel und an kahle Bäume, aber auch an „Indian Summer“ denken lässt. Diese Atmosphäre fängt auch Sooäär sehr gekonnt ein. „Variations on a Rococo Theme“ lässt die Welt der spätbarocken Musik aufleben und ist zugleich der Schlusspunkt eines Albums, das als Hommage an einen bedeutenden russischen Komponisten zu begreifen ist. Beim Zuhören drängt sich sowohl der Eindruck des Liedhaften wie von Kirchengesang auf. Dabei überwiegt das Erstere. Zugleich dachte der Rezensent an Etüden aus der Feder von Sor, Carulli oder Tárrega, folgte er den fein gesponnenen Gitarrenklängen von Sooäär - Hochgenuss pur! Doch dann ergehen sich die Musiker in einer klanglichen Ekstase, ist freies Spiel und Impro angesagt. Der Bassist erdet dieses Spiel nachfolgend und macht den musikalischen Ausbruch vergessen. Beinahe höfisch klingt der musikalische zweite Teil der Variationen. Doch die Überraschung folgt auf dem Fuß, denn Kruglov lässt seinen Holzbläser krächzen, schluchzen, quieken, schnarren und schnurren, ungezügelt und frei. Auch das ist allerdings nur ein Moment der Variationen.

© fdp


Informationen

Line-up:

Alexey Kruglov - alto and soprano saxes, alto sax mouthpiece
https://de.wikipedia.org/wiki/Alexei_Kruglow

Jaak Sooäär - electric guitar
https://www.sooaar.com/bio

Mihkel Mälgand - double bass
https://www.facebook.com/mihkelmalgand

Tanel Ruben – drums
http://www.tanelruben.com

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