Alexey Kruglov & Jaak Sooäär - Music without Borders
A
Art Beat Music
Im letzten Jahr trafen sich der russische Saxofonist Alexey Kruglov und der estnische Gitarrist Jaak Sooäär am Grenzfluss Narva anlässlich des International Jazz Day 2021. Die physische Überwindung des Trennenden war damals – angesichts der Pandemie - nicht möglich und erscheint in den Tage des Überfalls Russlands unter Führung eines größenwahnsinnigen Autokraten auf die souveräne Ukraine in sehr weite Ferne gerückt. Musik war und ist auch heute der einzige mögliche Brückenschlag. Und so haben auch die beiden Musiker ihr Projekt verstanden. Dabei stand der eine an der Burg Narva und der andere an der Festung Ivangorod. Sie schickten ihre Klänge quer über den Fluss Narva, traten in einen Dialog ein, spielten eigene Kompositionen, aber auch zwei Stücke, die durch die Kompositionen Mussorskys und Rimsky-Korsakovs inspiriert sind. Mit „Poet“ wird der Mitschnitt des Konzerts an der Grenze aufgemacht und mit „Sabaga Täht“ abgeschlossen. „River Wind“ ist ebenso zu hören wie „The Old Castles“, „Taiga“ und „The Conversation“.
Lang gezogen sind die Klänge, die über den Fluss Narva geschickt werden. Dabei macht der Saxofonist mit weich gezeichneten Passagen den Anfang. Auf diese antwortet der Gitarrist auf seine Art. Die Saiten-Klänge erscheinen dabei zerbrechlich wie Kristallglas und erinnern an aufbrechendes Eis im Frühling. Insgesamt ist das Stück „Poet“ sehr lyrisch ausgelegt, beinahe an einen mittelalterlichen Minnegesang erinnernd. Ja, der Titel des Stücks ist gut gewählt, erleben wir doch die Poesie der Musik, und die braucht manchmal auch einen Dichter, einen Dichter, der Töne und Akkorde zu einem Klangvers verbindet. Sie scheinen bisweilen so, als würde eine Himmelsleiter erklommen, als würden Schäfchenwolken des Klangs in Pastell gemalt. Ohne Frage aber steht das Dialogische zwischen den beiden Musikern im Fokus und ist auch beim Wah-Wah des Gitarristen nicht zu überhören, das Teil von „River Wind“ ausmacht. Beim Zuhören denkt man allerdings eher an Stromschnellen und wildes Wasser statt an einen Wind. Das gibt es eben kein Säuseln und kein Pfeifen, sondern eher ein dezentes Gitarren-Tosen und ein hochtöniges Saxofon, das sich im Off zu verlieren scheint.
In den Modus von Blues und Rock tauchen wir bei „The Old Castles“ ein, zumindest zu Beginn. Danach meint man, in den Passagen, die Alexey Kruglov zum Besten gibt, eher höfische Musik auszumachen. Bisweilen scheint eine Nähe zu den berühmten Flötenkonzerten im Schloss Sanssouci gesucht zu werden. Doch Kruglov spielt lediglich Alt- und ab und an Spielzeug-Saxofon. Feinstes Fingerspiel legt Jaak Sooäär an den Tag, stets im Wechsel mit den dahin rinnenden Saxofon-Passagen. So hat man den Eindruck, dass hier zwei Klang-Färbungen wie Aquarell-Tusche ineinander übergehen. Auch den legendären „Hummelflug“ von Rimski-Korsakov haben die beiden Musiker für ihren Auftritt eingebunden. Dabei haben sie sich allerdings vom Original entfernt und dieses nur als Stichwortgeber genutzt. Bildlich hat man die Vorstellung einer in S-Bögen fliegenden Hummel, wenn Kruglov seinen Holzbläser einsetzt. Mal ist der Flug etwas träge und mal auch taumelnd. Zwischendrin scheinen auch mindestens zwei Hummeln unterwegs zu sein, eine mit sehr schnellem Flügelschlag, so suggeriert es der Gitarrist, und eine mit eher langwelligen Flügelschlägen, so lässt sich Kruglovs Spiel interpretieren. Schließlich scheint sich ein ganzer Schwarm von Hummeln auf Nektarsuche zu befinden, dabei aufgeregt umherfliegend. Gegen Ende des Stücks sind übrigens auch psyhedelische Klänge auszumachen.
Nachfolgend „besingen“ die beiden Musiker die „Taiga“, durchaus melodramatisch in der musikalischen Inszenierung. Und dann vertiefen sich beide in ein Gespräch, einen Austausch, ein Geben und Nehmen in „The Conversation“. Gelegentlich muss man beim Zuhören an einen Gruppentanz mit aufgereihten Tänzern denken, die die jeweiligen Schritte des Gegenübers kopieren, ehe sie sich auf eine gemeinsame Drehung einlassen.
Neben der durchaus politisch zu wertenden Aussage der beiden Musiker – und das beinhaltet nicht nur die Wahl des Ortes, sondern auch den Dialog zwischen einem russischen und einem estnischen Musiker - ist die Live-Aufnahme dank der Musik ein Hörgenuss par excellence. Musik ist mondial und überwindet Grenzen – das ist die klare Botschaft, eine Botschaft, die in diesen Tagen, da im Jahr 2022 in der Mitte Europas ein Krieg im Gange ist, ganz besonders wichtig erscheint. In den späten 1960er Jahren lautete der Slogan „Make Love not War“ – unter Bezug auf den Krieg in Vietnam. Abgewandelt müsste man heute ausrufen: „Make Music not War“, weder in der Ukraine, noch im Jemen, in Äthiopien oder anderswo auf dieser Welt.
© Ferdinand Dupuis-Panther
Infos
https://www.jazzhalo.be/interviews/alexey-kruglov-from-moscow-russia/
https://www.sooaar.com/bio
https://abcnews.go.com/Entertainment/wireStory/musicians-blend-jazz-rhythms-estonia-russia-border-77421925