Alexey Kruglov - Dromuse in Japan
A
SoLyd Records
Die vorliegenden drei CDs spiegeln in ihren Aufnahmen fünf Auftritte in Niigata und Tokyo wider, die Mitte Januar 2020 gemeinsam mit japanischen Musikern zustande kamen. Ohne die Einladung des Saxofonisten Masami Suzuki, so Kruglov im Booklet, wäre dieses Projekt nie realisiert worden. Der Titel der drei Alben bezieht sich auf Kruglovs Konzept, Wortkunst mit Musik und bildender Kunst zu vereinen. Im Booklet-Text lesen wir zudem Folgendes: „Our collaboration was filled with mutual respect and warmth. In Japan I found a lot of things that were close to me and my ideas, a deep understanding of my artistic approach and vision. It’s not for nothing that a Noh Theater mask appears on the cover of the album. The artistic directions of this unique theater extraordinarily inspire me and fill with new ideas. For me it was a great honor to perform with such amazing artists, creating joint projects that can be heard in the tracks of this triple album!“
„THE FLASH“ lautet die „Schlagzeile“ der ersten CD, auf der Kompositionen wie „The Spark“, „The Blink“, „The Kindling“ und „The Flash“ zu hören sind. Allein die verwendeten Titel legen Assoziationen sehr nahe, so beispielsweise „Der Funke“ („The Spark“). Zu hören sind Alexey Kruglov (alto and sopranino saxes, recorder, Tver horn, vocals). Masami Suzuki (soprano sax, shinobue (jap. Bambusflöte), clarinet, vocals), Keni`ichi Matsumoto (tenor sax, shiakuhati, vocals), Eiichi Hanyu (double bass) und Toru Shimada (drums, percussion).
Metallene Klangstäbe schwirren, ein Telefon klingelt, Becken werden sanft angeschlagen und Felle hart traktiert, aber nur kurz. Schnalzlaute sind auszumachen, derweil es kristalline Klänge zu hören gibt, die auch von kleinen Schellen stammen könnten. Wirbel auf Becken und Fellen vergehen langsam. Laute, wie die auf einer Rührtrommel erzeugten, sind auch auszumachen. Hektisches Tiktiktik gleicht einem Weckruf. Saxofone werden zu Windmaschinen. Hochtönig ist einer der Holzbläser gestimmt, ein anderer entäußert sich schrill und gequält zugleich. Bilder eines Funkenflugs stellen sich ein. Im Hintergrund agiert der Drummer mit aller Kraft. Die Ekstase wird im weiteren Track von den übrigen Musikern gezielt gesucht. Die Eruption des Klangs ist jedoch nur eine Durchgangspassage, so der flüchtige Eindruck. Danach meint man, das stete Dampfen und die Fahrtgeräusche sowie die Bewegung der Pleuelstangen einer Dampflok auszumachen. Kieksend und aufgeregt gesellen sich die Holzbläser zum Dampflokspektakel dazu. Ein facettenreiches Hörgemälde entsteht nach und nach. Dabei drängt sich die Vorstellung auf, es werde Dantes Inferno musikalisch inszeniert. Wild und ungestüm geht es zwischen den Musikern zu. „The Flash“, vielleicht als Blitzen, Leuchten und Blinken zu übersetzen, ist der nächste Track. Beckenrauschen steht am Beginn des Stücks, gefolgt von sanften Flötentönen, die nebulös dahinschweben. Bambusflöte oder Blockflöte?, fragt sich der Hörer. Bisweilen vermutet man, Sirenengesang breite sich aus. Gelegentlich hat man auch das Bild im Kopf, man lausche einem Hirten, der auf einer Hochebene sein Vieh im Auge hat und auf einem Blasrohr spielt, derweil die Herde weiterzieht. Auch an den Klang einer Vogel- oder Nasenflöte fühlt sich der eine oder andere beim Zuhören erinnert. Zischlaute sind Teil des Vortrags, genauso wie zerbrechlich klingende Flötensequenzen, die an ein Vogelkonzert denken lassen. Aus der Tiefe des Raumes vernimmt man ein Zupfen tiefer Saiten. Und dann scheint ein musikalisches Gewitter loszubrechen, derweil sich das „Blitzen“ dem Ende nähert.
Die zweite CD nennt sich „PARK STREET NOVEL“ und umfasst sechs Tracks darunter „Exposition“ und „Sketches“, „Cogitation“ und „Final. Im Gegensatz zur ersten CD erleben wir eine andere Instrumentierung und Besetzung: Alexey Kruglov (alto, soprano, plastic and toy saxes, recorder, vocals, voice, sounds from the plastic arts performance, Masahiko Satoh (piano) und Keisuke Ohta (acoustic and electric violins, vocals, voice, megaphone) haben sich eingefunden. Kristallene Klangsequenzen, die der Pianist verantwortet, vereinen sich mit verhaltenem Gebläse. Zudem hört man auch wimmernde und seufzende Saiten einer Violine. Jeder der Beteiligten scheint ein Segment einer Ausstellung musikalisch zu beschreiben, Abstraktes, Symbolistisches, oder dramatische Wolkenbilder – das könnte man beim Hörer durchaus visualisieren. Wilde Happenings von Jackson Pollock und A. R. Penck scheint man auch zu erleben. Man achte mal auf die Pianosetzungen und die Interventionen des Geigers! Das klingt alles so, als würde Farbe auf eine Malleinwand gespritzt. Man könnte auch an die Schüttbilder von Nitsch denken, der gleich mit Eimern Farbe auf die Leinwand entlädt. Begleitet wird diese Aktivität durch eine lautmalerische Stimme, die kraftvoll und auch zornig klingt. Nachfolgend gibt es dann Bogenstriche zu vernehmen, und ein Pizzicato gibt es obendrein als Zugabe. Schwirrend und flirrend sowie grölend und röhrend ist Kruglov am Geschehen beteiligt. Es sind gewiss andere als Mussorgskys Bilder, die man in Kruglovs Ausstellung zu Gesicht bekommt.
Auf die „Ausstellung“ folgen die „Skizzen“ mit lang gezogenem Saxofongebläse, das nur hier und da von dem Pianisten kurz unterbrochen wird. Gestisch erscheint das, was Kruglov uns darbringt. Ein schriller Bogenstrich, ein welliges Saxofonspiel, das sich in einer Endlosschleife befindet, ein Pling und ein Plong des Pianisten nehmen an Tempo und Volumen zu und vergehen erneut. Eine seufzende und heulende Violinenpassage entlädt sich eruptiv. Sind da nicht auch Spielzeugsaxofone mit im Spiel, wenn das Stück seine Fortsetzung findet? Geschnatter und Krakel – das ist das, was wir erleben. Und was hat das mit „Skizzen“ zu tun? Sind musikalische Skizzen gemeint, also gar „Fingerübungen“? „Voices“ sind außerdem Teil der CD. Dabei scheint der Violinist um das Melodische bemüht zu sein und Volksweisen auf der Hardanger-Fiedel zu Gehör zu bringen. Und was ist das eigentlich für ein Wehklagen, das wir zwischenzeitlich auch hören. Violinist und Pianist scheinen im Weiteren eine beschwingte Volksweise mit Balkananmutungen anzustimmen. Und was vermittelt uns derweil Kruglov als „Stimmeninstrumentalist“?
Die dritte CD har Kruglov „WALKING ALONG SAND DUNES TO FTARRI“ betitelt. Sie enthält als Eröffnungstitel „Sand Dunes“ mit einem Stimmanteil von Hisako Horikawa und Ryoichi Suzuki. Zudem erlebt man neben den beiden Saxofonisten Suzuki und Kruglov den Organisten Ruri Fukui. Weitere Tracks tragen Titel wie „Etarri Love“, „Ballad of the Earth“ und „Hunting the Wolves“. Das Finale der dritten CD ist eine Improvisation namens „Etarri Improv“. Beteiligt daran sind Alexey Kruglov (alto sax, recorder, Tver horn, vocals), Daisuke Fujiwara (tenor sax) sowie Ryuichi Yoshida (baritone sax, bass flute, vocals).
Pfeift da nicht sanft der Wind, wenn der Track „Sand Dunes“ zu hören ist? Zwitschert hier oder dort ein Vöglein? Und was verheißt eigentlich das Signalhorn, das sich ab und an zu Wort meldet. Fliegen da nicht Kraniche vorbei, die sich auf dem Flug lauthals verständigen? Oder sind es Blessgänse? Fragen über Fragen stellen sich zu visuellen Bildern ein, die sich beim Zuhören im Kopf einstellen. Und dann hört man noch einen Rufer, der aber schnell verstummt, um nach einer Weile wieder seine Stimme zu erheben. Singschwäne scheinen zugegen zu sein. So jedenfalls klingt das, was Kruglov mit dem Saxofon zum wechselvollen Hörbild „Sanddünen“ beisteuert. Japanische Textzeilen, die Kruglov rhythmisiert begleitet, werden nachfolgend in den Track eingewirkt. Und welche Bedeutung haben sie? Haiku oder was?
„Ballad of the Earth“ tragen die Musiker auf der CD „Wanderung entlang der Sanddünen nach Ettari“ auch vor. Dabei vernimmt man dann Alexey Kruglov auch in der Rolle des Rezitierenden. Doch wer kein Russisch versteht, dem bleibt der Sinn verschlossen. Schrille Flötentöne flammen auf, ehe die Rezitation ihre Fortsetzung findet. Es gibt im Nachgang ein Wechselspiel zwischen Rezitation und Flötenspiel. Auch bei „Hunting the Wolves“ ist der Wortbeitrag von Kruglov entscheidend. Für eine derartige Wortinszenierung muss man offen sein, auch mit dem Nachteil den Inhalt nicht erfassen zu können. Offen muss man dafür sein, dass es kein Gleichgewicht zwischen Textvortrag und instrumentalem Vortrag gibt und der Wortbeitrag dann eher Scat Vocals ähnlich wird.
© ferdinand dupuis-panther