Alex Norris Organ Quartet: Extension Deadline
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Alex Norris Organ Quartet: Extension Deadline
Ein Quartett ohne Bass und Piano, den klassischen Bestandteilen der für fast jede Jazz-Band essenziellen Rhythmusgruppe, gibt’s das? Ja, die vorliegende Band um den Trompeter Alex Norris verzichtet darauf. Dabei übernimmt George Colligan an der Hammond A-100-Organ teilweise die Aufgaben, die sonst üblich einem Kontrabassisten zufallen. Das 4tet vervollständigen Gary Thomas (tenor saxophone) und Rudy Royston (drums).
Vorab scheinen einige Worte zum Bandleader Alex Norris angezeigt: Dieser wuchs in Columbia auf und erhielt ein Stipendium fürs Peabody Conservatory of Music. Dort graduierte er 1990 und wurde kurze Zeit später zum Shooting Star der New Yorker Jazzszene. Er trat unter anderem mit dem Vanguard Jazz Orchestra, dem Toshiko Akiyoshi's Jazz Orchestra und der Band von Maria Schneider auf. Mehrere Jahre gehörte er außerdem zum Ensemble von Betty Carter's Jazz Ahead. Zudem trat er mit „Legenden“ des afrokubanischen Jazz auf, so mit Paquito D’Rivera. Unterdessen sind 80 Alben erschienen, bei deren Einspielungen Norris dabei war. Die vorliegende Veröffentlichung ist nunmehr seine zweite als Bandleader. Dabei flossen in die Kompositionen eigene Erfahrungen und Erlebnisse ein, so bei “Night Watchman”. Es handelt sich dabei um die „Vertonung“ eines nächtlichen Blicks aus Norris' Manhattan Plaza Apartment. Dass Beziehungen scheitern können, ist ein Thema in “What Happened Here?”. “San Jose” wiederum entstand nach einem Auftritt beim San Jose Jazz Festival. Damals begegnete Norris drei Latin-Jazz-Bands: Manny Oquendo Y Libre, Timbalaye und Rumba Club.
Tusch, Tusch und nochmals Tusch – so eröffnet „Extension Deadline“. Das Stück entwickelt sich im Weiteren schon ein wenig im Sinne der Musik von Cannonball und Nat Adderley, so meine ich. Besonders beeindruckend ist das Solo des Bandleaders und Trompeters Alex Norris. Unter diesem Solo, bei dem die Trompete sich in der Klangfolge sehr exaltiert zeigt, liegt der Klangteppich der Orgel. Tänzelnde Rhythmen steuert der Drummer Rudy Royston bei. Auf das Solo von Norris antwortet dann Gary Thomas und paraphrasiert dabei die „Vorgaben“ von Norris. Auch bei dieser solistischen Einlage setzt der Organist George Colligan dann und wann klangvolle und satte Akzente. Völlig verspielt zeigt sich dann Colligan, wenn ihm der Klangraum alleine gehört. Na ganz alleine ist er nicht, denn im Hintergrund tut Rudy Royston alles für die Taktung des Stücks. Selten genug erlebt man auf Studioeinspielungen ein Solo des Drummers, aber auch das wird uns gegönnt.
Nacht ist es in Manhattan, und Alex Norris ist als Nachteule unterwegs, blickt aus dem Fenster und entdeckt etwas. Ja was entdeckt er? Lauscht man dem Melodiefluss, so scheint er gelassen dahinschlendernde Menschen und langsam fahrende Autos zu beobachten. Das Leben hat ein wenig die Alltagshektik verloren. Vielleicht ist ja Wochenende, arbeitsfrei und damit ist die Chance auf einen netten Abend gegeben. Auch im Trompetensolo zeigt sich eine gewisse Form des Entspanntseins. Zugleich meint man auch mitzuerleben, wie der Fluss der Fußgänger sich mal hierher und mal dorthin bewegt. Wohin sind sie unterwegs? In den nächsten Jazzkeller? Zum Broadway? Wir wissen es nicht.
„San Jose“, das klingt nach Lateinamerika und entsprechend heißen Rhythmen, nach Mambo, Samba oder Bossa, aber wir können uns auch irren. Am besten hören wir uns den Titel an, der ja nach einem Sommerfestival in San Jose entstanden ist, wie wir dem „Waschzettel“ zum Album entnehmen. Nein, nichts von alledem, was wir annahmen, trifft zu. Ähnlich wie bei der ersten Nummer des Albums scheinen im Geiste die Adderley Brothers erneut unter uns zu weilen. Folgt man den ausgefeilten Trompetensequenzen, so gewinnt man den Eindruck, dass damit die Lebendigkeit von San Jose eingefangen wird, auch die schwirrende Hitze in einer Sommernacht. Cruisen da nicht einige mit ihren flotten Buiks und Chevrolets durch die Straßen? Man könnte es glauben, verfolgt man die sehr bewegten Passagen, die Gary Thomas auf seinem Saxofon zum Besten gibt. Wie in anderen Kompositionen von Norris gewinnt man auch bei dieser den Eindruck, dass der Bandleader sich die Stücke nicht ausschließlich auf den eigenen Leib geschneidert hat, sondern stets auch an seine Mitmusiker denkt. Jeder kann sich einbringen und auch seine Fähigkeiten unter Beweis stellen.
„Optimism“ ist das vorletzte Stück des aktuellen Albums. Sehr beschwingt ist diese Weise, deren Hörfarbe im Kern von den beiden Bläsern bestimmt wird. Losgelöst im Hier und Jetzt scheint das Motto, das Norris musikalisch umgesetzt hat. Zum Schluss winkt die Band mit der „Red Flag“: Nervös und ein wenig aufgeregt sowie aufgewühlt erscheint diese Komposition. Man hat den Eindruck, dass die Ruhe vorbei und Eile angesagt ist. Irgendwie kommt man beim Zuhören auch nicht umhin, an eine Katastrophe zu denken, die einen Alarm auslöst.
Danke für die „unverkopfte“ Musik, die dennoch aufmerksames Zuhören erfordert. Die Themen sind nie banal; die Struktur nie einfach vorhersagbar. Ein Hochgenuss ist es den solistischen Sequenzen zuzuhören, die uns Alex Norris präsentiert. Bitte mehr davon!
Text © ferdinand dupuis-panther
Information
Label
Brooklyn Jazz Underground Records
http://www.bjurecords.com
Musiker
Alex Norris
http://www.alexpopenorris.com