Aki Rissanen/Robin Verheyen/Markku Ounaskari - Aleatoric: Songs for Solstice
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Eclipse Music
Ein belgisch-finnisches Trio unterstreicht, dass Musik, insbesondere Jazz, keine Grenzen kennt. Angesichts des immer lauter werdenden Rufs nach Abschottung, begleitet vom Bau von Mauern, darf man die Kraft von Kunst und Musik nicht unterschätzen, die sich diesem Trend entgegenstellt. Völkisches und Vorstellung von „Wir hier und ihr da“ sind dem Jazz eh fremd, denn deren Wurzeln liegen im Swing und Blues, liegen in den Rhythmen Afrikas und den Polyrhythmen des Balkans, sind also mondial und nicht national.
Neben den beiden finnischen Musikern Aki Rissanen (piano), unlängst mit dem finnischen Pendant des Grammys ausgezeichnet, und Markku Ounaskari (drums) gehört der Saxofonist Robin Verheyen zum Trio namens Aleatoric. Die deutsche Übersetzung des Bandnamens lautet: „durch Zufall“. Dabei fragt man sich, ob sich das auf die Musik bezieht, denn Jazz ist ja bisweilen kontrollierter Kontrollverlust, eben Zufall und Kontrolle in gleichen Teilen.
Zu hören sind Kompositionen wie „Insomnia“ und „Deep Sea Diving“, aber auch „Riverly / Reflections on Scriabin Prelude op.13 No.1“. Dabei beziehen sich die Musiker auf den Pianisten und Komponisten Alexander Nikolajewitsch Skrjabin, der eine Vorform der Zwölftonmusik geschaffen hat. „Riverly“ stammt aus der Feder Verheyens, „Reflections“ aus der von Aki Rissanen. Da sich das Album ja mit dem Thema „Sonnenwende“ befasst, dürfen entsprechende Kompositionen nicht fehlen: „Estival Solstice“, „Celestial Spheres“ und zum Schluss „Hibernal Solstice“. Den Schlussakkord des Albums hat das Trio im Übrigen gemeinsam komponiert.
Dass es überhaupt zu dieser finnisch-belgischen Zusammenarbeit kam, ist dem Umstand des gemeinsamen Studioortes Paris zu verdanken, wie mir Aki Rissanen verriet, als ich ihn auf der Jazzahead 2017 traf. Unterdessen sind Auftritte des Trios selten geworden, da Verheyen nun in New York heimisch geworden ist
Mit Schlaflosigkeit bzw. Schlafstörung haben wir es dank der Komposition „Insomnia“ zu Beginn des Albums zu tun. Das scheint die Zeit dahinzurennen, die große Standuhr mit ihrem Pendel für Unruhe zu sorgen. Sowohl die akzentuierten und mit Pausen versehenen Tastenschläge von Aki Rissanen wie auch die unruhigen Saxofonschwaden, die Robin Verheyen verantwortet, scheinen eben die bereits vorhandene Unruhe noch zu forcieren. Bildlich sieht man den nach Schlaf Suchenden sich im Bett hin- und herwälzen, aufspringen, herumlaufen und sich wieder setzen. Derweil rinnt die Zeit dahin, hört man die Pendelbewegung der Standuhr. In wenigeb Momenten scheint es Entspannung zu geben, scheint ein Ruhepunkt gefunden. Doch dabei scheint die Unruhe nur verdrängt, wie man nachfolgend dem anschwellenden Saxofonklang entnehmen kann.
„Deep Sea Diving“ ist musikalisch auch angesagt. Mit eleganten Schwimmbewegungen geht es hinab in die blaue Tiefe, wie das Saxofon im Duett mit dem Klavier uns zu verstehen gibt. Unter Wasser scheint sich eine andere Welt der Töne aufzutun. Innehaltend und weitertauchend erschließt sich diese Welt Schritt für Schritt. Diese Schritte begleitet Aki Rissanen mit kaskadierenden Linien. Wird, sobald Robin Verheyen mit seinem Saxofon ins Geschehen eingreift, gar das Bild von Delfinen heraufbeschworen, die an der Seite eines Tauchers auftauchen?
Das Trio um den finnischen Pianisten Aki Rissanen entführt uns auf dem Album auch in „Himmelssphären“ („Celestial Spheres). Dabei werden wir mit einem dramatischen Schlagwerksolo empfangen, das Markku Ounaskari geschuldet
e ist. Was vermittelt er dem Zuhörer? Meteoritenregen? Sternschnuppen am Himmel? Polarlichten in schlierigen Farben?
Nahtlos geht dieses Solostück in „Bird Vision“ über. Dabei muss man beim Zuhören nicht so sehr an die Vogelperspektive denken, sondern vielmehr an Chaos, Unruhe, Dramatik und Explosivität, was Robin Verheyen und seinem durchaus freien Spiel geschuldet ist. Ist die Welt der Planeten aus den Fugen geraten, fragen wir uns beim Zuhören.
Robin Verheyens Solo zu Beginn erinnert an Vogelgesang, an Lockruf und Widerruf. Doch im Verlauf kommt das Saxofon dann röhrend und trötend zu Wort, scheint sich beinahe in seinen Klangfolgen zu überschlagen, scheint außer sich, ehe dann eher wieder ruhige Passagen eingeflochten sind. Doch jene sind nur von kurzer Dauer. Fliegende Tastenfolgen nehmen wir wahr, auch der Klang gedämpfter Saiten und eine gewisse Form des tonalen Galopps, derweil sich Robin Verheyen eher im Hintergrund hält. Die gedämpften Saiten klingen so, als würde ein präpariertes Hackbrett bespielt. Nach und nach nimmt die Dramatik zu, trötet und schnattert das Saxofon, scheinen sich die Ereignisse zu überschlagen, so als wäre der Formationsflug von Zugvögeln ins Ungleichgewicht geraten.
Mit „Hibernal Solstice“, der Wintersonnenwende, wird das vorliegende Album abgeschlossen. Hört man das Glöckchenspiel zu harten Schlägen auf der Tom? Tropft da geschmolzenes Eis hernieder und wird musikalisch vom Schlagwerk eingefangen? Robin Verheyen seinerseits scheint eine Hymne auf das Ende des Winters anzustimmen, oder?
Text: © ferdinand dupuis-panther
Informationen
Label
Eclipse Music
http://www.eclipse-music.net
Musiker
Aki Rissanen
http://akirissanen.com/
http://www.jazzhalo.be/reviews/cd-reviews/a/aki-rissanen-amorandom/
http://www.jazzhalo.be/reviews/cd-reviews/a/aki-rissanen-jussi-lehtonen-quartet-with-dave-liebman/
Robin Verheyen
http://robinverheyen.be/
Markku Ounaskari
http://www.paulvankemenade.com/biography/markku-ounaskari/