Ralph Jenders: Jazz

Ralph Jenders: Jazz



Ralph Jenders ist eine der guten Seelen der jährlichen Emsdettener Jazztage. Nun hat er einen Gedichtband veröffentlicht, der allerdings nur in einem so überschriebenen Kapitel dem Jazz gewidmet ist. Wer die Erwartung hat, in die Lyrik des Autors seien Verszeilen zu Miles Davis, John Coltrane, Ben Webster oder anderen Legenden des Jazz der 1950er und 1960er Jahre eingeflossen, der wird bei der Lektüre eines Besseren belehrt. Jazz ist eher wohl als Moment der Improvisation, des Stimmungswechsels, des Erzählens der Alltagsgeschichten zu begreifen. Als eine Art Leitsatz für den Gedichtband hat Jenders eine Äußerung von Ornette Coleman gewählt – im Text steht fälschlicherweise Colemann (!) – über den Beginn des Tages, das Ankleiden und eine Melodie: „Wenn du morgens aufstehst, musst du dich zuerst anziehen, … aber deine Kleidung sagt dir nicht, wohin du gehen kannst. … Eine Melodie ist wie deine Kleidung.“

Der Gedichtband mit konsequenter Kleinschreibung im Zeilentext weist thematische Zuordnungen auf wie „Zu Papier“. Es ist von den Lichtern der Nacht und der Macht der Stille die Rede, vom nackten Papier, auf den der Kopf beim Schreiben eines Gedichts niedersinkt. Dass das Leben an Magneten hängt, die an der Kühlschranktür kleben, schreibt der Autor außerdem. Beinahe symbolistisch mutet „Wahrheit“ an: „der regen fällt ohne worte/spricht aber doch“. Mit „Stadt vor Flusslandschaft“ wird der Leser in einem weiteren Abschnitt des Gedichtbandes konfrontiert. Da ist die Rede vom „Nebel“ und „sattgrünem Gras unter den Füßen“. Das scheint nicht ohne Bezug zur Romantik, vor allem wenn man die nachstehenden Zeilen liest: „wanderer kommst du einst an diesen fluss/atme tief/ und lausche dem fernen glockengeläut in der stille“. Die Gedichte Jenders leben von den Bildern, den Metaphern, wie dem Regen, der auf das Glockengeläut fällt. Von der ersten Liebe, der heimlichen, und den ersten Büchern, „Steppenwolf“ und „Anne Frank das Tagebuch“ lesen wir obendrein.

Das Kapitel „Blitze im Kopf“ hat der Autor einer seiner beiden Töchter gewidmet, für die Orfiril, Petnidan, Ospolot, Lamictal und Topomax nicht die Namen von Kuscheltieren waren, sondern … Wer sich mit der Behandlung einer Epilepsie auskennt, weiß, dass es entsprechend eingesetzte Pharmaka sind. Nicht nur an dieser Stelle des Gedichtbandes zeigt sich auch das Biografisches.

In einem Jazzgedicht verneigt sich Jenders vor dem viel zu früh verstorbenen schwedischen Jazzmusiker Esbjörn Svensson, dem ein Tauchgang zum Verhängnis wurde: „ein letzter ton steht im raum/hallt lange noch nach/ gefriert in der zeit/und bleibt“. Doch einige Verszeilen sind auch der Allmacht der Fernbedienung gewidmet, die den Alltag determiniert, wenn man es denn zulässt.

Mit „hundstage“ und „november“ scheinen wir beinahe auf den Spuren des „Schimmelreiters“ von Theodor Storm unterwegs zu sein. Nur kurz blitzt Politisches auf, so in „Arbeitslos 2006“. Und auch „9/11“ rückt Politisches in den Fokus. Die ist eher eine Ausnahme in dem von Poesie, Aphorismen und Biografischem geprägten Gedichtband.

© fdp

Ralph Jenders: Jazz, five minute Verlag, 79 S., Emsdetten 2020
Preis 18 €
www.first-minute-buecher.de


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