Gäbe es die Saxofonistin Ilona Haberkamp nicht, dann wäre die aus Leipzig stammende Pianistin Jutta Hipp gänzlich vergessen. Zum 10. Todestag von Jutta Hipp im Jahr 2013 wurde bei Laika Records „Cool is Hipp is Cool – A tribute to Jutta Hipp“ veröffentlicht. Diese Veröffentlichung enthält auch ein umfängliches Booklet zum Leben und Schaffen von Jutta Hipp. Zudem existiert eine weitere Veröffentlichung von Jutta Hipp unter dem Titel „Lost Tapes - The German Recordings 1952-1955“. Ansonsten wäre die Pianistin, die als erste europäische, weiße Musikerin überhaupt bei Blue Note veröffentlichte, aus dem öffentlichen Bewusstsein gänzlich verschwunden.
Ilona Haberkamp schöpft bei ihrer Biografie unter anderem aus einem Interview, das 1986 zustande kam, als Jutta Hipp schon seit Jahrzehnten der Karriere als Musikerin den Rücken gekehrt hatte und ihr Auskommen in einer New Yorker Textilfabrik fand. Wie es dazu kam, dass Jutta Hipp 1959/60 das Klavierspielen aufgab, steht im Fokus des Buches, aber auch das künstlerische Schaffen davor und danach. Zu nennen sind insbesondere ihre brillanten Karikaturen von Jazzmusikern, sowie ihre Gedichte, die Hipp durchaus mit humoristischem Feingefühl und genauer Beobachtungsgabe für die Schwächen und Marotten über Jazzmusiker wie John Coltrane, Sonny Rollins oder Lester Young verfasste. Zu den grafischen Arbeiten Hipps zählen Porträts von Ella Fitzgerald, Lionel Hampton, Louis Armstrong, Art Taylor oder Gerry Mulligan. Mit spitzer Feder war Hipp bereits in Erscheinung getreten, als sie noch nicht in die New Yorker Jazzszene eingetaucht war und ihre „Alltagsskizzen“ aus der Zeit in Bad Wiessee entstanden, die unter anderem das Leben der GIs und deren Umgang mit den Einheimischen in den Fokus rückten. Dass Hipp in ihren grafischen Arbeiten nicht nur Talent zeigt, sondern auch handwerkliches Können, verwundert nicht, hatte sie doch zwei Jahre lang an der Hochschule für Buchkunst und Grafik in Leipzig studiert.
Übrigens, zur Bildenden Kunst fand Jutta Hipp neben ihrer Fabrikarbeit in den 1970er Jahren wieder zurück. Die Fabrikarbeit beendete sie erst, als sie 70 Jahre (!) alt war. Spät, beinahe zu spät wurde auch ihr musikalisches Schaffen gewürdigt, als Neuauflagen von Blue-Note-Platten erschienen und Hipp 2001 dafür einen Scheck in Höhe von 40000 Dollar erhielt. Zwei Jahre später erlag Jutta Hipp einem Krebsleiden.
Was die vorliegende Biografie besonders auszeichnet, sind die vielfältig verwendeten Quellen, unter anderem das Interview von 1986, die verschiedenen Gedichte, die zahlreichen grafischen Arbeiten und natürlich auch die Porträtfotos von Jutta Hipp, die eine durchaus hippe, wenn nicht gar mondäne, moderne Frau zeigen, ganz das Gegenteil von dem in den 1950er Jahren gängigen Frauenbild des Heimchens am Herd. An Selbstbewusstsein mangelte es Hipp jedoch. Sie war eher scheu und small talk war nicht ihre Sache. In einer männlichen dominierten Welt des Jazz war das von Nachteil. Auch die Abhängigkeit von Gönnern und Förderern wie Leonard Feather waren, so beschreibt es Ilona Haberkamp, Fluch und Segen zugleich.
Beziehungen, so lesen wir, waren nie von langer Dauer. Die Tatsache, dass sie unehelich einen Sohn zur Welt brachte, der wie in den 1950er Jahre üblich zum Mündel des zuständigen Jugendamtes wurde, ist eine der tragischen Momente im Leben von Jutta Hipp. Der Kontakt zwischen dem Sohn Lionel und Jutta Hipp brach ab und konnte auch im Laufe der Jahre nicht wieder aufgegriffen werden. Männer gab es im Leben von Jutta Hipp zahlreiche, aber die Beziehungen mit diesen hielten nicht, so auch nicht zu Attila Zoller.
Dass Jutta Hipp mit aus heutiger Sicht Legenden des Jazz auftrat, ist Teil ihrer Biografie. Da ist zunächst Hans Koller zu nennen, zu dessen Quartett die Leipziger Pianistin gehörte und den sie in ein paar Versen als dreisten Hexenmeister bezeichnet, der in seriöser Laune an seiner Posaune zog mit Fleiß. Im Frankfurter Jazzkeller traf sie Dizzy Gillespie. In ihrem eigenem Quintett spielte unter anderem ein Urgestein des deutschen Jazz, der unlängst verstorbene Saxofonist Emil Mangelsdorff. Hipp war der heimliche Star des Zweiten Deutschen Jazzfestivals und traf dort auf Attila Zoller, Kurt Edelhagen, Rolf Kühn und Paul Kuhn, Namen, die vor allem in den Anfängen des Jazz nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland einen Klang hatten. Alsbald avancierte Hipp auch zur „European Lady of Jazz“, wie es in einem Kapitel der vorliegenden Veröffentlichung heißt. Dass sie mit „Horacio“ eine einzige Jazzkomposition geschrieben hat und selbstverständlich auch Horace Silver, Lester Young, Charles Mingus und Miles Davis kannte, wird von Ilona Haberkamp detailliert ausgeführt.
Anfänglich überschlugen sich die New Yorker Zeitschriften in ihren Schlagzeilen, nachdem Hipp in die USA emigriert war: „Jutta’s Piano is really Hipp“ war da unter anderem zu lesen. Sie wie auch andere Pianistinnen waren aber auch rassistischen und sexistischen Anfeindungen ausgesetzt, wie man es im Kapitel „Jazz Sisters – Das Ringen um gleichwertige Anerkennung“ nachlesen kann. Ilona Haberkamp nimmt uns zudem mit zu den Hotspots des Jazz wie dem Hickory House, in dem auch Jutta Hipp gastierte, es aber nicht sehr schätzte. Sie wollte richtigen Jazz spielen und keine Unterhaltungs- und Tanzmusik mit einem schwatzenden Publikum im Saal. Auch das gehört zur Geschichte des Jazz, denn die Biografie von Jutta Hipp reflektiert eben auch über die Rolle des Jazz und dessen Geschichte. Fazit: Sehr lesenswert! Und wer die Musik von Jutta Hipp erleben möchte, der sei auf die unten stehenden Links zu Alben mit der entsprechenden Musik verwiesen.
© ferdinand dupuis-panther
Ilona Haberkamp
Plötzlich Hip(p) - Das Leben der Jutta Hipp zwischen Jazz und Kunst
224 S., farb. Abb., pb., ISBN 978-3-95593-137-7, Wolke-Verlag, € 28,00
Weitere Infos
http://www.ilonahaberkamp.com/images/pdf/295BOOKLET-deutsch.pdf
Ilona Haberkamp 4tet feat. Ack van Rooyen - Tribute To Jutta Hipp
In case you LIKE us, please click here:
Hotel-Brasserie
Markt 2 - 8820 TORHOUT
Silvère Mansis
(10.9.1944 - 22.4.2018)
foto © Dirck Brysse
Rik Bevernage
(19.4.1954 - 6.3.2018)
foto © Stefe Jiroflée
Philippe Schoonbrood
(24.5.1957-30.5.2020)
foto © Dominique Houcmant
Claude Loxhay
(18/02/1947 – 02/11/2023)
foto © Marie Gilon
Pedro Soler
(08/06/1938 – 03/08/2024)
foto © Jacky Lepage
Special thanks to our photographers:
Petra Beckers
Ron Beenen
Annie Boedt
Klaas Boelen
Henning Bolte
Serge Braem
Cedric Craps
Christian Deblanc
Philippe De Cleen
Paul De Cloedt
Cindy De Kuyper
Koen Deleu
Ferdinand Dupuis-Panther
Anne Fishburn
Federico Garcia
Jeroen Goddemaer
Robert Hansenne
Serge Heimlich
Dominique Houcmant
Stefe Jiroflée
Herman Klaassen
Philippe Klein
Jos L. Knaepen
Tom Leentjes
Hugo Lefèvre
Jacky Lepage
Olivier Lestoquoit
Eric Malfait
Simas Martinonis
Nina Contini Melis
Anne Panther
Jean-Jacques Pussiau
Arnold Reyngoudt
Jean Schoubs
Willy Schuyten
Frank Tafuri
Jean-Pierre Tillaert
Tom Vanbesien
Jef Vandebroek
Geert Vandepoele
Guy Van de Poel
Cees van de Ven
Donata van de Ven
Harry van Kesteren
Geert Vanoverschelde
Roger Vantilt
Patrick Van Vlerken
Marie-Anne Ver Eecke
Karine Vergauwen
Frank Verlinden
Jan Vernieuwe
Anders Vranken
Didier Wagner
and to our writers:
Mischa Andriessen
Robin Arends
Marleen Arnouts
Werner Barth
José Bedeur
Henning Bolte
Erik Carrette
Danny De Bock
Denis Desassis
Pierre Dulieu
Ferdinand Dupuis-Panther
Federico Garcia
Paul Godderis
Stephen Godsall
Jean-Pierre Goffin
Claudy Jalet
Chris Joris
Bernard Lefèvre
Mathilde Löffler
Claude Loxhay
Ieva Pakalniškytė
Anne Panther
Etienne Payen
Jacques Prouvost
Yves « JB » Tassin
Herman te Loo
Eric Therer
Georges Tonla Briquet
Henri Vandenberghe
Iwein Van Malderen
Jan Van Stichel
Olivier Verhelst