Manche Lektüre ist quälend, so auch bei der vorliegenden Biographie, die den Leser in toxische Beziehungen von Amy Winehouse und ihrem Umfeld einbindet. Nicht so sehr die musikalische Karriere der mit 27 Jahren aufgrund ihrer Drogensucht verstorbenen britischen Vokalistin steht im Vordergrund der Biographie, sondern vielmehr das Soziogramm der britischen Musikszene, in der Kokain und Heroin den Alltag weitgehend bestimmen und ein Drogen-Dealer Teil der Szene ist. Auch der Autor der vorliegenden Biographie Tyler James, der einst bei der Castingshow The Voice erfolgreich war und dem Musikgeschäft längst den Rücken zugekehrt hat, führte auch kein drogenfreies Leben als Vertrauter einer Sängerin, die als Jahrhundertentdeckung gefeiert wurde und die im Pop und Rock ebenso zuhause war wie im Jazz. Legendär ist ihr Duett-Auftritt mit Tony Bennett.
Amy Winehouse bestach nicht nur durch ihre Stimme, sondern auch mit ihrer Bühnenpräsentation. Typisch war für die Vokalistin ihre Hochsteckfrisur, die einem Bienenkorb glich. Ebenso markant war ihr Lidschatten und ihre zahlreichen Tattoos, die an unvollständige Bildgeschichten und bisweilen an Bilderrätsel denken ließen. Im Hinblick auf die Drogensucht der Musikerin unterscheidet sich Amy Winehouse überhaupt nicht von den afroamerikanischen Musikern der 1950er und 1960er Jahre. Genannt seinen dabei Eric Dolphy ebenso wie Charlie „Bird“ Parker. Genannt seien in diesem Kontext auch Dexter Gordon und Chet Baker. Doch sie waren nicht die erste Generation 27. Sie war das Produkt von Sex and Drugs and Rock’n Roll. Amy Winehouse is Teil dieser Generation, zu der auch Jimi Hendrix und Jim Morrison gehören. Doch diesen Kontext und der Frage nach dem Warum geht der Autor nicht nach. Statt dessen ergeht er sich in der minutiösen und detailhaften Schilderung der Drogensucht und des Drogenkonsums, in einer Szene von Musikern und Entourage, zu der einst auch Tyler James gehörte.
Tyler James’ Anspruch, die wahre Amy Winehouse der Nachwelt zu präsentieren, scheint m. E. Nur bedingt gelungen zu sein, es sei denn man reduziert die Musikerin auf ihre toxische Beziehung zu ihrem Lover Blake und ihrem sorglosen Umgang mit Drogen. Drogen meint in diesem Falle auch extensives Saufen, gefolgt von Entzug und Rückfall, Rückfall, Rückfall. So ist es bereits auf den ersten Seiten der Biographie nachzulesen. Und auch Tyler James selbst war stets in der Gefahr dem Alkoholismus zu verfallen, wie er im zweiten Kapitel der Veröffentlichung schreibt.
Die erste Begegnung von James und Winehouse wird im dritten Kapitel dargelegt. Auf der Schauspielschule in Plaistow war dies. Diese Begegnung hinterließ nachhaltigen Eindruck: „Ich traute weder meinen Ohren noch Augen. Dieses dünne Mädchen sang wie eine vierzigjährige Rockröhre, die drei Flaschen Whiskey am Tag trinkt und dazu fünfzig Marlboros raucht. … Jedenfalls war ihre Stimme etwas ganz Besonderes, klang nach Nina Simone oder Dinah Washington.“ Das sind seltene Aussagen des Autors zur Qualität von Winehouse und nicht zu ihrem Lebensstil und Alltag, der nicht nur von Drogenkonsum, sondern auch von Depressionen geprägt war. Auch die Amy Winehouse lernen wir kennen, die ein selbstzerstörisches Leben führte, die sich mal selbst die Nase piercte und die Wunde mit einem Eisbeutel versorgte. Und wir begegnen einer Musikern, die verliebt in die Liebe war, wie James schreibt.
Toxisch war gewiss Amys Leben im Umfeld ihres Stiefvaters und auch das extensive Rauchen von Gras. Es war das Umfeld, dass sich aufdrängte und Amy auch drängte, ein erstes Tape aufzunehmen, das zu ihrer Entdeckung beitrug. Zu diesem Umfeld, das eigene Interessen verfolgte, gehörte auch ein gewisser Simon Fuller, wie James schreibt. Der versprach Erfolgt mit einem Film über Jazz. Doch aus der ambitionierten Idee wurde nichts. Amys Alltag war wieder von Joints bestimmt, und das bereits früh am Morgen. Sie hielt nichts von Pillen, von Chemie wie sie er nannte, sondern von Natürlichem. Und Gras war für sie natürlich.
Völlig desillusioniert ist man nach dem Lesen des Kapitels über eine Musikshow wie Pop Idol. Nun ja, bei uns sind Sendungen wie DSDS, The Voice of Germany und andere Formate ja auch nicht Sternstunden der musikalischen Unterhaltung. Und auch der Autor der aktuellen Biographie wurde Teil des internationalen Musikzirkus, der ihn auch in die USA führte. Es ist ein Leben in einer anderen Welt, fern ab der einstigen Freunde. Es ist ein Leben in Clubs und in Studios, ein teilweise entfremdetes Leben. Die Tage von James und Winehouse in Camden, wo Amy ihre erste Wohnung kaufte, scheinen Ruhepole im Leben der beiden Seelenverwandten. So jedenfalls schildert es James. Der Deal mit Island Records ist Teil des Musikerlebens der beiden Protagonisten des Buches, die nach außen so taten, als ob sie ein Paar seien. Das traf aber zeitlebens nie zu.
Was für Amy abträglich war, war das Wesen der Musikindustrie: „Das wahre Wesen der Musikindustrie lernt man erst kennen, wenn man Teil davon ist. Als Künstler hast du monatelang, sogar jahrelang keine Zeit für dich selbst, deine Freunde und deine Familie.“ Und was bleibt? Drogenexzesse, um sich zu betäuben. Und an solchen ist auch Amy Winehouse letztlich zugrunde gegangen. Dieses Suchtverhalten beschreibt James nachhaltig: „Viele von uns waren süchtig nach irgendetwas. Ich nahm immer noch meinen morgendlichen Schuss Jack Daniel’s und dann regelmäßig diese starken Schmerztabletten. Hinzu kamen Kokain und exzessives Trinken …“. Das liest sich mit Bestürzung und man fragt sich, ob der Musikbrache innewohnt süchtige Persönlichkeiten zu schaffen.
Deutlich wird an vielen Stellen der Biografie, dass die Lebensgeschichte des Autors immer wieder in die Biographie einfließt, nicht trennbar von der von Amy Winehouse ist. Wäre es für eine Biographie nicht notwendig, eine gewisse Distanz zu der Person zu wahren, deren Lebensgeschichte man aus subjektiver Sicht erzählt? Bisweilen hat man den Eindruck, dass Amy Winehouse nur ein Vehikel ist, um Geschichten aus der britischen und internationalen Musikszene zu erzählen.
Es bleibt beim Lesens der Veröffentlichung, wie bereits oben angedeutet, ein schaler Beigeschmack, mal abgesehen davon, dass die Längen der Biographie auffällig sind. Irgendwann ist der Leser es überdrüssig, von Drogenexzessen zu lesen, auch von solchen auf einer Flugreise auf eine karibische Insel, die Bryan Adams sein eigen nennt.
© ferdinand dupuis-panther
Tyler James - Meine Amy
Taschenbuch, 368 Seiten
ISBN-13 9783548065816
Ullstein-Verlag
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