Ein noch junger Bob Dylan mit einer akustischen Gitarre in der Hand ziert das Cover der Anthologie. „The Chameleon Poet“ nennt John Bauldie sein Werk zu Bob Dylans Suche nach sich selbst. Schillernd ist der Literaturnobelpreisträger gewiss, der seine Lyrik mit einem unnachahmlichen Sprechgesang mit knödelig-gepresster Stimme vorträgt. Längst hat sich der heute 80-Jährige von der Bühne zurückgezogen. Doch seine Alben bleiben und auch der Film „The Last Waltz“ (1978), der das Abschiedskonzert von Dylans Begleitband The Band einfängt. Keiner der Wegbegleiter Dylans, weder Joan Baez oder Neil Young noch gar Robbie Robertson, kommt in der vorliegenden Anthologie zu Wort.
Bob Dylan ist und war ein Faszinosum für viele Musiker, auch für Jazzmusiker, so für Cassandra Wilson, John Scofield und Georgie Fame, die jeweils Dylan Texte arrangiert und interpretiert haben. Und wie sieht es mit der deutschen Musikszene aus? Gewiss Wolfgang Niedecken von BAP hat dem us-amerikanischen Barden mit der rauen Stimme ein Buch gewidmet, aber sonst? Die vorliegende Anthologie schließt diese Lücke, sind doch Beiträge von Judith Holofernes (ehemals Wir sind Helden), Bernadette La Hengst (vormals Die Braut haut aufs Auge), Christiane Rösinger (Lassie Singers und Britta) und Stella Sommer (Die Heiterkeit) in der Anthologie aufgenommen worden. Allerdings sind die Erwähnten gewiss nur denjenigen ein Begriff, die in einer spezifischen deutschen Musikszene, sprich Subkultur, Zuhause sind. Ergänzend sind weitere Autoren vertreten, die sich professionell mit Rock und Pop befassen. Der Rezensent muss einräumen, dass ihm aus der Schar der Autoren nur Frank Gossens, Bochumer Urgestein, Fußballkenner, Satiriker und ein Kenner des Ruhrpotts, ein Begriff ist.
Ob Dylan wirklich mit Recht mit dem Literaturnobelpreis bedacht wurde, mag wirklich diskussionswürdig sein, aber er ist von der Schwedischen Akademie entsprechend ausgezeichnet worden. Er hat diesen Preis an einem geheimen Ort in Stockholm und nicht etwa in einer feierlichen öffentlichen Zeremonie entgegengenommen und bis heute dazu geschwiegen. Auch während der beiden Konzertauftritte in Stockholm erwähnte er den Preis mit keiner Silbe. Nun gut, ein Eigenbrötler, ein Mann mit Marotten, ein Mann, der die Öffentlichkeit wohl hasst – das scheint Bob Dylan zu sein, der eigentlich als Robert Allen Zimmermann das Licht der Welt erblickte. Es ist aber auch ein Mann, dessen Songs selten eine Geschichte ergeben, wie der Einleitung von Maik Brüggemeyer zu entnehmen ist. Und auch die Biografie des Künstlers, der in die Fußstapfen von Woody Guthrie treten wollte, scheint eher ein geheimnisvolles Konstrukt und ist vielfach auch Anlass zu Mythenbildungen.
Ohne einen langhaarigen Studenten namens Thomas, der die Mansarde in dem Haus bewohnte, in dem Frank Goosen aufwuchs, wäre Goosen wohl nie mit dem us-amerikanischen Barden in Berührung gekommen. Als Pubertierender hat er allerdings geglaubt, man spreche den Namen wie Bob Dülahn aus, ein Bonmot als Teil einer Geschichte übers Heranwachsen im Ruhrpott zu einer Zeit, als alle langhaarigen Studenten als Hippies verschrien waren. Jedenfalls Omma Goosen war davon schlicht und ergreifend überzeugt. Dass Goosens Geschichte zur Zeit der Entführung von Peter Lorenz durch die Bewegung 2. Juni spielt, sei nur am Rande bemerkt. Da mischt sich dann die Vorliebe für Dylans Songs mit einem Stück deutscher Zeitgeschichte. Dass Dylan die Begleitmusik für ein Modeshooting auf dem Dachboden liefert, ist eine der Geschichten in der Geschichte, die Goosen uns erzählt.
Die Geschichte einer Zugfahrt und die bizarre Begegnung mit einem Fremden und einem Papagei, weiß Marion Brasch zu erzählen. Doch was hat das mit Bob Dylan zu tun? Um Dylans „Ballad of a Thin Man“ mit Zeilen wie „You walk into the room with your pencil in your hand / You see somebody naked and you say, "Who is that man?" arrangiert Tom Kummer seine Geschichte und lässt dabei gleich mal auch die beiden Blues- und Rockmusiker Mike Bloomfield und Al Kooper in Erscheinung treten. Wie man eine Geschichte zu Bob Dylan's „115th Dream“ mit Zeilen wie „Das Hundefutter war mal wieder alle, das Bier auch. Das Schwein hatte in der Küche randaliert und unsere Teller zerschlagen ...“ beginnen kann, zeigt Tino Hanekamp in seinem Anthologiebeitrag. Er entführt den Leser auf Bob Dylans Farm, lässt uns Red Ryder kennenlernen und obendrein auch den Plattenproduzenten Richard Alderson. Dabei changiert die Geschichte zwischen Surrealem und Dada, oder?
Ganz anders ist da der Beitrag von Christiane Rösinger angelegt, die sich des Songs „Don't Think Twice It's All Right“ annimmt. Dass es sich um eine von Dylan textlich leicht veränderte Version des Folk-Klassikers „Whose Gonna Buy You Ribbons When I'm gone“ ist, wird von der Autorin stringent im Vergleich zwischen Original und Cover abgeleitet. Die Autorin geht aber auch der Frage nach, ob Dylan seinen Song nach einer erlebten Trennung geschrieben hat oder nicht. Auch dies gelingt dank präziser Textanalyse des Songtextes. Judith Holofernes war angefragt worden, als die Anthologie konzipiert wurde, meldete sich allerdings lange Zeit nicht und lieferte dann kommentarlos ihre Übersetzung von „I Want You“ ab, die der Herausgeber mit Anmerkungen versehen veröffentlicht hat. Was die Liebenden im Film „Notting Hill“ mit Dylan verbindet, das beschäftigt hingegen Stefan Katzenberge in „Let It Be Me“.
In einem Modus von „eigentlich würde ich ...“, hat Benedict Wells einen kurzen Beitrag verfasst und dabei seine persönlichen Erinnerungen an den Film „American Beauty“ sowie „All Along The Watchtower“ komprimiert eingefangen. Aus dem gängigen Muster von Kurzgeschichte bzw. Essay bricht „You Ain't Going Nowhere“ aus. Hier unterhalten sich Vater und Tochter, Polly Roche und Eric Pfeil, im Frage-und-Antwort-Duktus über Lieblingsmusik und Bob Dylan. Über Zahlen und Rassismus in Dylans Songs sowie „Subterranean Homesick Blues“ kam er selbst, so schreibt Knarf Rellöm, zu seinem Katastrophen-Song „Stresemann Ecke Schützenstraße“. Angeregt durch „Talkin' World War Three Blues“ entstanden schließlich Zeilen wie „Vor dem Krieg hatte ich einen Vater/Vor dem Krieg hatte ich eine Mutter ...“ - von Bob Dylan zu Knarf Rellöm zu … . „Boots of Spanish Leather“ ist Bernadette La Hengsts Reise durch die USA überschrieben, die von Chicago nach New Orleans führt und Inspiration für eigene Songs war, weniger dem „Mythos Dylan“ verfallen als der Frage danach, was einen guten Song eigentlich ausmacht.
Auch nach dem Lesen der Anthologie wird Dylan nicht greifbarer. Das war aber auch gar nicht das Anliegen, sondern Bezüge zwischen den jeweiligen Autoren und dem „Mythos Dylan“ deutlich zu machen. Das ist gewiss gelungen, auch wenn nicht jeder Text zu überzeugen weiß.
© ferdinand dupuis-panther
Maik Brüggemeyer (Hrsg.): Look out kid - Bob Dylans Lieder, unsere Geschichten
272 Seiten, Ullstein-Verlag
ISBN: 9783550201585
Preis 18 Euro
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