Stefan Bauer: Im Gespräch mit dem aus NRW stammenden und in Brooklyn beheimateten Vibrafonisten

Im Rahmen der CD-Release „Geographia“ tourte Stefan Bauer mit seinem Ensemble einige Wochen durch Nordrhein-Westfalen. Bei dieser Gelegenheit konnte ich mit ihm ein ausführliches Gespräch über Jazzmusik, deren Chance und deren Krisen führen und über seine Projekte sprechen. Zudem war ich bei einem seiner Konzerte, im Haus Siekmann in Sendenhorst, zugegen, konnte ihn und seine Mitspieler auch beim Livekonzert genießen.


Der Auftakt des Konzerts wie auch der CD-Veröffentlichung geriet etwas holprig, mutet Bauer seinem Publikum doch erst einmal eine Klangkakofonie vom Luna Park auf Coney Island zu, ehe er zum Besuch des immer noch beliebten, wenn auch längst in die Jahre gekommenen Ausflugsziels einlud. In die Heimat der Vokalistin Michal Cohen, den Jemen, aus dem sie nach Israel auswanderte, entführt uns Bauer ebenso wie in das Reich der Sterne „Im Licht der Sterne“ lautet ein Titel der neuen CD – und auch zu „neuen Ufern“ („New Shores“), wie eine weitere Einspielung heißt. Bauer, der in der Vergangenheit sowohl mit dem Saxofonisten Charly Mariano als auch mit dem kanadischen Trompeter und Flügelhornspieler Kenny Wheeler auftrat – beide Musiker weilen nun nicht mehr unter uns –, ist ein Reisender in Sachen Musik, wie er das stets mit seinen farbenfrohen Klangrhythmen unter Beweis stellt. Reisen nach Indien – mit dem Schlagzeuger Christoph Haberer zusammen –, aber auch nach Afrika ließen ihn bis heute nicht mehr los. Bauer betont bei unterschiedlichen Gelegenheiten, dass er bei diesen Reisen überhaupt erst die nahezu unerschöpfliche Bandbreite musikalischer Rhythmen erfahren und dann in sein Spiel integriert habe.


Zu Beginn unserer Begegnung fragte ich Stefan Bauer, was eigentlich Jazz für ihn bedeutet.


Das ist meine Lebensform.

Warum haben Sie sich denn überhaupt entschieden, Jazzmusik zu spielen und nicht Rock, Pop, Blues oder Klassik?

Na ich glaube an so eine Art von Vorsehung, wenn das auch ein wenig zu religiös klingt. Ich bin da reingefallen. Ich bin mit zehn Jahren quasi infiziert worden, nachdem ich jahrelang zuvor schon die Plattensammlung meines Vaters gehört hatte. Meine Mutter hat quasi die klassische Abteilung beigesteuert. Ihr Vater wiederum war Kirchenmusiker. Unsere Mutter hat uns zum Einschlafen auf dem Klavier Sachen vorgespielt. Bei uns zuhause war viel Musik, viel Jazz auch. Mein Vater hat sehr viele Jazzplatten aufgelegt, Swing vor allem. Es gibt so ein berühmtes Benny-Goodman-Konzert aus der Carnegie Hall 1938. Auf dieser Einspielung ist ein irrwitzer Schlagzeugbreak von Gene Krupa drauf. Seitdem ich das gehört hatte, bin ich angesteckt.

Jazzmusik ist eine amerikanisch geprägte Musik, weil …

,,, weil sie daher kommt.


Und ist Jazzmusik auch eine europäisch geprägte Musik?


Auf jeden Fall. Klar das hat sich dahin entwickelt. In seiner Ursprungsform nicht. Man könnte natürlich sagen, aber da streiten sich die Experten, Jazz ist ein Resultat des Aufeinandertreffens von afrikanischer und europäischer Musikkultur oder Teilen davon. Ich weiß das nicht erst, seitdem ich da lebe, dass Jazz Teil der us-amerikanischen Lebenskultur war und Teil der Popmusik. Popmusik war ja früher auch Filmmusik und Musik aus Broadwaymusical, so Stücke von George Gershwin, die die Leute kannten. Zu dieser Musik hat man auch stundenlang getanzt. Auf dieser Basis hat sich Jazz ausgebreitet. Daher konnten die Leute auch damit etwas anfangen. Ich war 1978 erstmals in New York. In der Zeitung las ich, dass im Central Park ein Jazzmobil seinen Platz hat und Jazz gespielt wird. Als ich da war, hörte ich eine Band, die Jazz Standards zu Gehör brachten wie „All the things you are ...“ Die Stimmung glich der eines Jahrmarktes wie der Cranger Kirmes. Leuchtbänder wurden verkauft, Würstchen gegessen. Als dieses genannte Stück gespielt wurde, haben die Umstehenden mitgesungen, nicht nur die Melodie, sondern den Text Da ist mir wirklich ein Licht aufgegangen. Mit dem Aufkommen der modernen Popmusik sowie Rock 'n Roll und dem weitgehenden Untergang des Broadwaymusicals ist Jazz in den Hintergrund gedrängt worden. So hat der Jazz eine Wandlung und vor allem eine Abkopplung von der Popmusik erfahren. Selbst die Musik von Charly Parker, der einen durchaus schwer verständlichen Jazz spielte, war immer noch Standard bezogen, immer noch bezogen auf Melodien, die man so kannte.

Auch die Blütezeit der Big Bands, die am Wochenende am Broadway zum Tanz aufgespielt haben, ist vorüber. In Europa hat sich nach dem Krieg ein Trend abgezeichnet, der durch Swingmusik geprägt war. Die Deutschen sind ja bekannt dafür, dass sie wie die Japaner, auf Jazz stehen. Darum tummelt sich hier auch alles, was in der Jazzwelt Rang und Namen hat.

Da der Jazz den Weg weg von der Kneipe und weg vom Tanzboden, weg von der Affinität zu früheren Popkultur genommen hat, erfährt er seit Jahrzehnten ein Konzertleben. Selbst wenn hier Standards gespielt werden, hat das einen anderen Bezug als in New York.


Ist das, was Sie beschreiben, der Grund dafür, dass Sie die Alte Welt für die Neue Welt eingetauscht haben?


Das hat mich auf jeden Fall angezogen. Ich habe ja Europa nicht für Amerika eingetauscht, da ich ja sehr viel hier bin. Ich bin jetzt seit 1990 in den USA, aber ich bin in diesem Jahr schon zum dritten Mal in Deutschland.

Sie haben sich ja für das Vibrafon und Marimbafon, aber nicht für das Klavier als Instrumente entschieden. Warum?

Oh, ich spiele Klavier, seit ich fünf Jahre alt bin. Meine musikalische Identität ist eng mit klassischer Musik verbunden, dank meiner Mutter, und mein Vater hat dauernd Jazz gehört. Das hat mich angesteckt, diese Grooves von Big Bands. Das gilt auch für afrikanische Musik, die mich in ihren Bann zieht. Ich schreibe weitläufige und komplexe Stücke für „Voyage“. Das hat dann auch nichts mehr mit dem ursprünglichen American Songbook zu tun. Wenn man so will, spiegelt sich in meinen Kompositionen der europäische Teil des Jazz wider. Und ich habe dabei eine für mich stimmige Melange aus amerikanischem und europäischem Form- und Harmoniebewusstsein gefunden. Ich spiele aber auch gerne in ganz freien und avantgardistischen Zusammenhängen. Einflüsse auf meine Kompositionen nehmen indische und afrikanische Musik mit ihren ganz besonderen Rhythmen.

Mit 13 Jahren habe ich Posaune angefangen zu spielen und dann wohl mit etwa 18 Jahren Vibrafon, wenn auch ein bisschen spät. Ich wollte aber kein Jazzpianist sein, denn das war mir zu „normal“. Dann habe ich eine Reihe von Instrumenten ausprobiert. Vibrafon hatte ich viel gehört, Lionel Hampton. Beim Probespiel hat es dann bei mir geklickt. Da dachte ich, das ist es: Stehen, Rhythmus, Perkussion. Ich habe dann geübt wie ein Wilder, denn ich musste ja aufholen.


Ist das Vibrafon ein Melodie- oder doch ein Schlaginstrument?


Das Vibrafon ist viel akzentuierter als das Piano. Ich kann ja nur vier Noten auf einmal anklingen lassen. Beim Klavierspiel ist es möglich, die Stücke gleichsam zuzukleistern, weil es dazu die Möglichkeit gibt. Das Vibrafon ist für mich ein Dreigestirn: ein Melodie-, ein Harmonie- und ein Perkussionsinstrument. Da ich viel Klavier gespielt habe, ist das auch bei meinem Spiel des Vibrafons zu hören. Meine persönliche Stärke ist dann auch das Begleiten. Dank des Schlagzeugers und Freundes Christoph Haberer, mit dem ich viel gereist bin, habe ich eine grundlegende rhythmische Erziehung erfahren. Da hat sich eine neue Welt aufgetan. Christoph hat in den späten 1970er und Anfang der 1980er Jahre schon Weltmusik im Kopf gehabt, als der Begriff hier völlig fremd war. Er hat sich an Musik aus dem Balkan, Südamerika, Indien und Afrika sowie elektronischer Musik orientiert, und diese als Elemente in seine eigenen Werke einfließen lassen.

Nach ein paar Stunden als Schlagzeuger habe ich gedacht, nee, das ist es nicht, ich werde Schlagzeuger auf dem Vibrafon. Wenn alles gut geht, dann liefere ich Musik ab, die das Dreigestirn zeigt und die aus dem amerikanischen Jazz der 1970er, 1980er Jahre abgeleitet ist.


Worin liegt die Ursache, dass ein so vielfältiges Instrument so selten im Jazz gespielt?


Ich freue mich, dass Sie das Vibrafon als vielfältig ansehen. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich dieses Instrument als sehr limitiert sehe. Man haut drauf und dann kommt der Ton. Sicher man kann härter und sanfter draufhauen oder auch einen Bogen benutzen. Im Vergleich mit einem Saxofon- oder Trompetenton kann man eben keine Leidenschaft zum Ausdruck bringen. Ich weiß nicht, ob sie auf dem Schirm haben, wenn ein Trompeter erst einen geraden Ton spielt und dann ein Vibrato. Das kann unter die Haut gehen. Das ist mit dem Vibrafon sehr schwer zu erreichen. Mich motiviert das, denn das Instrument kann sehr schnell in die Richtung „Cin ... Cin ... Cinzano“ abdriften. Wenn man das Instrument nicht mit Dynamik spielt, dann wird das Spiel m. E. Recht schnell langweilig.

Womit erklären Sie die Rarität des Instruments?

Das Instrument wird unter Musikern wie ein Luxusartikel gehandelt. Braucht man nicht, aber es ist nett, wenn man es hat. Die bekannten Vibrafonisten wie Lionel Hampton, Dave Pike, Milt Jackson oder Gary Burton sind vor allem Bandleader und keine „Seitenspieler“. Sie gehören auch nicht wie Pianisten, Schlagzeuger oder Trompeter vielen verschiedenen Bands an. Vibrafon ist ein Spezialitäteninstrument. Das andere Problem ist die Logistik. Mit diesem Instrument zu reisen, ist eine Herausforderung!


Zum Schluss: Auf welcher Reise sind Sie mit dem Projekt Voyage?


Es ist schon ein bisschen Weltmusik, keine Frage. Es geht darum, Grenzen zu überschreiten. Beginnend mit meiner ersten siebenwöchigen Afrikareise mit Christoph Haberer hat mich das Thema nicht mehr losgelassen. Ich bin auf Wolke 7 wiedergekommen. Das hat mich Jahre beschäftigt. Es gibt eine CD, die heißt Lingo, eingespielt mit einem Trio, bei dem ich Marimba- und Vibrafon spiele. Die musikalischen Grooves, die ich in Afrika und Indien bei Reisen entdeckte, habe ich hier in neuen Stücken verarbeitet. Auf Einladung des Goethe-Instituts bin ich dann mit dem Trio in die Elfenbeinküste gefahren und dort aufgetreten. Die Einheimischen sind auf uns zugegangen und haben gesagt, irgendwie hört sich eure Musik fremdartig, aber doch bekannt an.

Ich sehe alle meine bisherig veröffentlichten CD als thematisch an. Stets habe ich ein Thema im Blick gehabt. „Geographia“, meine jüngste CD, ist ebenso gestrickt und nimmt Leute auf eine Soundreise mit. Ich will Leute mitnehmen. Dabei müssen alle Gefühlsregister gezogen werden, auf der Reise an all die Orte, wo ich schon mal war und wohin ich noch einmal fahren möchte


text und fotos: Ferdinand Dupuis-Panther


Information

Stefan Bauer „Voyage“
http://www.stefanbauer.net/

Stefan Bauer Voyage Geographia JHM 216
stefang bauer voyage JHM 167
http://www.jazzhausmusik.de

 


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