Pascal Bartoszak : Interview mit dem Kölner Saxofonisten







Anlässlich eines Konzerts in der Kunsthalle Recklinghausen, das im Rahmen der Reihe Sparda Jazz Lounge stattfand, hatte ich die Gelegenheit zu einem Gespräch mit dem in Dorsten geborenen, nun aber in Köln beheimateten Saxofonisten, der zunächst das Klarinettenspiel erlernte, ehe er das Saxofon und somit auch den Jazz für sich entdeckte.


Wie wesentlich war Musik in Ihrer Kindheit und Jugend, welcher Art auch immer? War das eine wichtige Komponente oder sozusagen nur eine Randerscheinung?

Ja, also mütterlicherseits war das immer sehr präsent, die Musik. Meine Mutter spielte vor allem Akkordeon und Klavier. Deshalb war Musik bei uns Zuhause immer präsent und wurde auch stark durch Eltern und Großeltern gefördert. Meine Mutter hat  früher auch in verschiedenen Orchestern gespielt. So war ich schon als kleines Kind mit auf Konzerten und habe dort die ersten Berührungen mit Musik gehabt; später dann gefördert durch die Eltern über die musikalische Früherziehung, einen Weg, über den ja viele den Weg zur Musik finden. Mein Vater ist tatsächlich relativ unmusikalisch was das Spielen eines eigenen Instruments angeht. Er hört jedoch sehr gerne Musik und freut sich immer, auf Konzerte unterschiedlichster Richtungen zu gehen, aber  … Das Musikalische kommt in erster Linie von  der mütterlichen Seite. Zudem habe ich in meiner Kindheit und Jugend relativ viel mit meinem drei Jahre jüngeren Bruder musiziert. Er spielt Schlagzeug und wir haben auch lange Zeit zusammen in diversen Orchestern oder Bigbands gespielt.


Welche Musik war im Hause Bartoszak zu hören? Klassik, Jazz, Schlager, Pop, Rock? Schallplatte, CD oder Radio?

Da ich ja 1992 geboren bin, war die Schallplatte bei uns nicht mehr so aktuell, CDs und Radio schon. Mit Jazz hatte ich von der Familie aus eigentlich garkeine Berührung. Zuhause lief immer eher Popmusik, Schlager und ein bisschen Klassik vielleicht. Die Begeisterung für die Jazzmusik kam daher nicht von Zuhause.


Welches war das erste Instrument, das Sie erlernt haben? Akkordeon?

Nein, Blockflöte, wie bei den meisten Blasmusikern.

 


Akkordeon zu spielen, war nie eine Frage für Sie?

Nein, ich war schon immer begeistert von Blasinstrumenten. Gegen das Akkordeon habe ich mich als Kind immer deutlich gewehrt. Mittlerweile mag ich die Klangfarbe eines Akkordeons im richtigen Kontext jedoch sehr.


Das erste Instrument, das Sie erlernt haben, war dann die Klarinette, oder?

Ja, mit etwa 10 Jahren habe ich angefangen, Klarinette zu spielen. Das war der Wechsel von der Blockflöte zu einem „richtigen“ Blasinstrument. Ich habe dann bei uns im Ort auch in einem Blasorchester gespielt.


Blasmusik meint Brass Band?

Nein, ein symphonisches Blasorchester in meiner Heimatstadt Dorsten. Das Orchester hat sowohl Marschmusik als auch symphonische Blasmusik gespielt.


Was war der Grund noch ein weiteres Holzblasinstrument zu erlernen? Klarinette ist ja ein durchaus anerkanntes Instrument, in der Klassik ebenso wie im Jazz, mal von Swing ganz abgesehen?

Eine Freundin meiner Mutter spielte Saxofon. Es begeisterte mich, und ich wollte dieses Instrument auch mal ausprobieren. Das fand relativ zeitnah zum Spielen auf der Klarinette statt. Mit circa 12 Jahren wechselte ich dann zum Saxofon, bin aber der Klarinette bis heute treu geblieben. Ich spiele sie zwar nicht im Quartettkontext, aber ansonsten recht häufig.


Sie haben sich entschieden, Altsaxofon zu spielen.

Ich bin von Herzen aus Altsaxofonist, auch wenn ich zusätzlich noch Sopransaxofon spiele. Ich fühle mich in den höheren Lagen einfach zu Hause. Das ist mein Tonhöhenbereich, in dem ich mich wohlfühle.  Das kommt anscheinend meiner inneren Stimme am nächsten. Mit 15 Jahren kam dann noch die Querflöte dazu, auch wieder ein eher hohes Blasinstrument. Zudem habe ich immer schon unglaublich gerne in einer Bigband gespielt. Mit dem Altsaxofon kann man den Saxofonsatz einer Bigband perfekt anführen.


Würden Sie der Aussage zustimmen, dass das Altsaxofon der menschlichen Stimme sehr ähnelt?

Das würde ich eher dem Tenorsaxofon zusprechen. Das Tenorsaxofon kommt  zumindest einer Männerstimme vom Tonumfang sehr nahe. Das Altsaxofon entspricht weniger der Tonlage einer menschlichen Stimme. Abgesehen von der reinen Tonhöhe ist das Saxofon aus meiner Sicht jedoch eines der wandlungsfähigsten Blasinstrumente und in der Tat eine natürliche Verlängerung der Luftsäule. Somit ist der Bezug zur menschlichen Stimme nicht ganz von der Hand zu weisen.

Ich sehe das Saxofon immer als direkte Verbindung von meiner inneren Stimme über die Luft nach außen. Der Ton wird zum Großteil durch mich als Spieler erzeugt. Daher habe ich mich wahrscheinlich auch immer gegen Tasten- oder Saiteninstrumente gewehrt. Bei einem Blasinstrument spüre ich eine viel größere Verbindung zwischen mir und dem Instrument – mein musikalisches Sprachrohr sozusagen.


Spielt der musikalische Ansatz, der beim Spielen der Klarinette vorherrscht, für das Spielen des Altsaxofons eine Rolle? Man denke an Paul Desmond, der eine beinahe samtene Altsaxofonstimme pflegte. Viele mögen nicht, dass im Klang des Altsaxofons die Klarinette durchscheint, die Desmond auch vortrefflich beherrschte.

Gute Frage. Nein, bei mir spielt dieser Bezug keine so starke Rolle. Ich würde nicht sagen, dass ich den Klang der Klarinette auf das Saxofon übertragen habe, sondern auf dem Saxofon einen eigenständigen Klang gesucht habe. Es ist so, dass ich die Klarinette als die eher hölzerne Klangfarbe ansehe und das Altsaxofon versuche, in allen Facetten zu spielen, von ganz hauchig im Subtone-Bereich mit Rauschen, was auch möglich ist, bis schneidend wie Cannonball Adderley.


Erinnern Sie sich noch an die erste Jazzplatte oder das erste Jazzkonzert, das Sie je gehört haben?

Hm, also an die erste CD kann ich mich noch gut erinnern. Ich hatte lange Zeit Unterricht an der Städtischen Musikschule, an der ich erst einmal klassisch ausgebildet wurde. Ich bin ja ein Kind des Ruhrgebiets, geboren in Dorsten im Kreis Recklinghausen. An der Marler Musikschule hatte ich dann meinen ersten richtigen Jazzunterricht gehabt, bei Günter Braunstein. Es war mit 12 Jahren, als ich bei ihm Unterricht genommen habe. Wieso auch immer war mir damals schon klar, dass ich Berufsmusiker werden wollte. Mein Lehrer sagte mir direkt im ersten Gespräch diesbezüglich, dass das sehr viel Arbeit bedeutet und er mir sicherlich ab und zu mal in den Hintern treten müsse. Von da an hat er mich perfekt auf meinen Weg als Musiker vorbereitet. Zudem fragte er mich, welche Saxofonisten ich denn überhaupt kennen würde. Ich hatte mich bis dahin noch nicht so richtig mit dem Saxofon oder gar mit Jazz beschäftigt. In der ersten Unterrichtsstunde bekam ich von Günter Braunstein eine lange Liste von Altsaxofonisten. Oben auf der Liste stand Phil Woods. Meine Aufgabe war es dann, die Liste abzuarbeiten und mir die verschiedenen Saxofonisten anzuhören. Meine erste CD war Phil Woods „American Swinging in Paris“. Ich habe dann auch die ersten Solos von diesem Album transkribiert, so zum Beispiel die Oliver Nelson Komposition „Stolen Moments“. Die CD war also die Initialzündung, die mich mit dem Jazz in Verbindung gebracht hat. Lange Zeit war dann Phil Woods einer meiner Heroes. Bezogen auf das erste Konzert kann ich das nicht genau sagen. Ich war schon immer begeistert von Big-Band-Musik. Ich glaube mit 15 oder 16 waren das Konzerte der WDR Big Band in der Kölner Philharmonie. Genau kann ich es heute aber auch nicht mehr sagen.


Welchen Einfluss haben so Legenden wie Dexter Gordon, Cannonball Adderley, Michael Brecker, John Coltrane, um nur einige zu nennen, auf Sie? Und: Spielt eigentlich die Historie des Jazz für Sie eine Rolle?

Ja die Legenden, wie Phil Woods, Charlie Parker, Cannonball …, sind natürlich immer präsent. Ohne die würde der Jazz gar nicht so klingen, wie er heute klingt. Man muss aber auch bedenken, dass zur Zeit, als sich der Jazz entwickelt hat, die Musiker, die  aus dem Bebop hervorgegangen sind, das große Privileg hatten Charlie Parker und andere wegweisende Musiker live zu hören. Sie konnten jeden Abend auf deren Konzerte gehen und versuchen ihre Spielweise zu kopieren oder zu adaptieren. Das ist natürlich nochmal ein ganz anderer Einfluss als es Jazzplatten heute auf junge Musiker haben können, besonders weil das Angebot von guter aber auch schlechter Musik heute so groß ist. In der Ausbildung kommt man damit immer wieder in Berührung und man muss da wirklich gut sortieren, was einem gefällt. Genauso wie die Musiker der damaligen Zeit beeinflusst wurden durch die großen Heroes, die sie damals live hören konnten, so bin ich auch heute am meisten beeinflusst von den Musikern, die um mich herum sind, die ich aktuell live hören kann oder mit denen ich zusammen spiele. Es gibt ja auch in Deutschland supergute Saxofonisten. Jeder Saxofonist sollte natürlich mal ein Charlie-Parker- oder ein Cannonball-Aderley-Solo transkribiert haben, die Musik also kennen. Was mich aber am meisten im Saxofonspielen und im Komponieren beeinflusst hat, sind Musiker, mit denen ich zusammengespielt habe und immer mal wieder zusammenspiele. Ich habe zum Beispiel das große Glück, dass ich seit mittlerweile 7 Jahren regelmäßig als Gast in der WDR Big Band sitzen darf. Diese Band begleitet mich schon mein ganzes musikalisches Leben, angefangen von den ersten Konzerten als Zuhörer im Jugendalter bis heute. In dieser Band treffen schließlich einige der besten Jazzmusiker deutschlands auf die großen Namen der internationalen Jazzszene. Das Studio 4 des WDR, in dem die Band probt und produziert, war für mich immer ein Ort der Inspiration. Egal ob als Saxophonist in Reihen des Saxophonsatzes oder nur als Zuhörer im Studio - ich erinnere mich an unzählige inspirierende Momente mit großartigen Musikern. Hinzu kommt natürlich die große Fülle an Jazzkonzerten in Köln. Das ist natürlich eine absolute Luxussituation, umgeben zu sein von so viel guter Musik. Und das hat mich in meiner Entwicklung immer am meisten beeinflusst, vielleicht sogar mehr als die großen Legenden der Jazzgeschichte.


Sie haben anfänglich an der Folkwang Universität in Essen studiert und Ihre Abschlüsse – Bachelor und Master -  dann in Köln gemacht. Was war der Grund nach Köln zu wechseln?

Köln war schon als Jugendlicher meine Wunschstadt. Ich war oft dort auf Konzerten und hatte dort auch erste Banderfahrungen. Ich hatte sowohl in Köln als auch in Essen bereits während der Schulzeit die Aufnahmeprüfung für ein Jungstudium gemacht. In Köln gab es aber zu dem Zeitpunkt keine freien Plätze. Zudem ließ sich das Jungstudium in Essen besser mit der Schule vereinbaren, da ich damals ja noch in Dorsten gewohnt habe. Nach dem Abitur war für mich aber klar, dass ich auf jeden Fall nach Köln gehen möchte. Die musikalische Szene hat mich einfach mehr angezogen.


Gibt es einen Unterschied in der Ausbildung und im Konzept von Jazz zwischen Essen und Köln? Essen mehr in Richtung freie Improvisation und Köln eher Mainstream – da setze ich mal ein Fragezeichen.

Das würde ich so nicht unterstreichen. Beide Standorte haben eine bunte Jazzszene. Auch in Köln existiert mittlerweile eine große freie Szene und andersrum gibt es auch in Essen viele Musiker, die sich eher dem Mainstream zuordnen würden. Dieser Unterschied war in der Vergangenheit sicherlich größer. Die Dozententeams an den beiden Hochschulen sind in den letzten Jahren ja auch immer jünger geworden. Wenn man bestimmte Vorstellungen hat und mit denen das Studium beginnt, zudem auch Wünsche äußert, dann wird man nicht in eine bestimmte Richtung gedrängt, sondern wird auf dem Weg begleitet. So habe ich es zumindest erlebt.


Welche Rolle spielt das American Songbook für Sie?

Wir spielen in meinem Quartett bewusst keine Standards und haben seit der Gründung der Band nie Standards im Programm gehabt. Wir spielen immer eigene Kompositionen. Ich versuche vielmehr in meinen Kompositionen, mich an das American Songbook anzulehnen. Darin sind super Melodien, viele aus dem Musicalbereich. Die sind halt sehr gesanglich ausgerichtet, was mir auch sehr wichtig ist, sprich eine Melodie zu haben, die einen roten Faden hat. Die Ästhetik und die Formenbildung sind für mich bedeutsam, aber ich versuche, auf dem Hintergrund dessen eine eigene Musik zu erschaffen. Ich war nie jemand, der lediglich als Interpret von Stücken auftreten wollte. Ohne das American Songbook würde ich aber selbstverständlich nicht so komponieren, wie ich es heute mache.


Was bedeutet Jazz für Sie?

Für mich bedeutet Jazz vor allem Individualität, weil Jazz vor allem eine Musikrichtung ist, bei der jeder Instrumentalist eine ganz eigene Stimme hat und so unterschiedliche Spielformen existieren. Angefangen bei Paul Desmond mit seinem weichen Spielstil bis hin zu einem Anthony Braxton, der total borstig klingt; dann auch Interaktion – das gibt es kaum in einem anderen Genre, dass man auf der Bühne eine derart intensive Interaktion erlebt. Jazz lebt für mich von Energie und Energieverläufen, die spontan im Moment entstehen. Außerdem fasziniert mich der Farbenreichtum im Jazz. Sowohl in harmonischer Sicht als auch bezogen auf den Sound der unterschiedlichen Musiker.


Ist im Jazz nicht schon alles gesagt, bis hin zu freier Improvisation und Free Jazz?

Ich meine, das meiste ist schon gesagt. Dass man selbst noch etwas Schönes finden kann und beisteuern kann, ist möglich. Was Jazzstudenten von heute als modern empfinden, das gibt es allerdings in der Regel auch schon seit 40 oder 50 Jahren. Das Rad neu erfinden, das kann man denke ich nicht mehr. Man muss für sich verschiedene Bausteine aus der Jazz-Geschichte herauspicken und seine eigene Stimme finden. Was komplett Neues zu finden nach über 100 Jahren Jazz-Geschichte ist eher schwierig.


Danke für das Gespräch.

Interview und Fotos ferdinand dupuis-panther



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