Furios war der Auftritt von Nicole Johänntgen mit dem Rémi Panossian Trio zum Abschluss der 16. Emsdettener Jazztage 2014. Nach dem Auftritt des S. O. F. I. A.-Projekts mit Musikerinnen aus der Schweiz, Frankreich, Liechtenstein, Großbritannien und Deutschland, konnte sich keiner der Konzertbesucher überhaupt vorstellen, dass am gleichen Abend noch ein weiterer Höhepunkt stattfinden sollte. Kurz noch zu S. O .F. I. A., einem Projekt zur Förderung junger Musikerinnen im Bereich der improvisierten Musik. Optisch war das Ensemble ein Hingucker, nicht zuletzt wegen der britischen Bassistin und Vokalistin Jo Dooley, die in Bath/England lebt.
Sie hatte sich ihr Gesicht so geschminkt, wie es nubische Männer für ihre Brautschau zu tun pflegen, so mein Eindruck. Ein Großteil der Musikerinnen trat ohne Schuhe auf die Bühne und ließen dann ihrer Musik freien Lauf: Posaune und Saxofon, Klavier und Stimmgewalt, dezente Schlagzeugrhythmen, behutsames Bassspiel als Teil eigener Kompositionen. Darunter war auch ein Werk der Schlagzeugerin Imogen Gleichauf, die damit ihrer italienischen Zimmerwirtin während eines Auslandstudiums gleichsam ein Denkmal setzte. Was zu hören war, war angehaucht von Bebop und Modern Jazz. Bisweilen füllte man sich nach „Round Midnight“ entführt. Der Funke zwischen Bühne und Zuschauerraum sprang problemlos über.
Das setzte sich beim Auftritt von Nicole Johänntgen fort, die anfangs einige technische Probleme zu meistern hatte, ehe sie ihrem Saxofon die gewünschten Klangfarben entlocken konnte. Die anfangs entstandene Pause nutzte der Schlagzeuger des begleitenden Panossian-Trios, Frédéric Petitprez, dazu, unter dem Beifall des Publikums einige Body Beats und Grooves zum Besten zu geben. Nicole Johänntgen jazzte, besser rockte, anschließend die Bühne mit vollem Körpereinsatz. Sie tanzte wie ein „Derwisch“ mit ihrem Saxofon auf der Bühne herum und bei diesem Anblick bekam man schon Lust, aus dem Lichthof in Stroetmanns Fabrik einen Dancefloor zu machen. „Jazz it through the night“ war wirklich angesagt. Monate nach dem aus meiner Sicht unvergesslichen Event konnte ich Nicole Johänntgen ans Telefon bekommen und interviewen.
Jazz bedeutet für mich …
N. J: … die Freiheit im Spiel. That's it. Das heißt, ob ich jetzt ein klassisches Stück nehme und verjazze oder ob ich ein Stück aus der lateinamerikanischen Musik nehme und verjazze, das ist für mich die Freiheit, all das musikalisch umzusetzen, was bei mir so im Kopf ist
Das gilt auch für die Titel wie 'Smile“ und „Smell of Spring' sowie 'Schneesturm' oder sind dies Stücke, die sehr stark notiert und arrangiert sind?
Keines der Stücke ist notiert. Das sind Aufnahmen der Band NICOLE JO und wir arbeiten nie so, dass wir etwas aufschreiben. Das erleichtert es uns, bei der Bühnenperformance keine Noten vor uns zu haben; zumindest gilt das für die Drei der alten Besetzung. Wir haben nämlich einen neuen Bassisten. Man kann sich das so vorstellen, dass wir innerhalb einer gewissen Zeit mal im Proberaum zusammenkommen und dann jammen. Aus diesem Jammen entstehen dann Song-Ideen. Wenn mir keine Melodie einfällt, dann setze ich mich ans Klavier – dabei habe ich schon eine harmonische Struktur im Kopf - und singe etwas dazu. Wenn wir aber im Proberaum zusammen sind, versuche ich über die Grooves und Beats etwas zu singen oder auf dem Saxofon zu spielen. Fällt mir gar nichts ein, dann muss ich warten, bis etwas kommt. (Herzhaftes Lachen !)
Bei Deinem Auftritt mit dem Trio bei den Emsdettener Jazztagen 2014, war alles, was auf der Bühne geschah, 'Spirit of the Moment'?
Nee, nee, die Stücke sind schon irgendwann mal entstanden. Bei meiner eigenen Band arbeite ich vor allem im Teamwork. Es gibt wenige Ausnahmen, bei denen ich alles zuvor vorbereitet habe. Beim Panossian Trio ist es so, dass ich die Drei immer mal wieder nach Deutschland, in die Schweiz und nach Skandinavien einlade. Die haben dann schon ihr Repertoire. Bei meinen Stücken ist es allerdings so, dass ich diese notiert habe und in die Probe mitbringe. Dann probieren wir es aus und ab geht es auf die Bühne, so wie in Emsdetten. Improvisationen sind natürlich nicht ausgeschrieben, aber die Themen.
Wenn Du von Ausschreiben redest, dann bedeutet das, dass zum Beispiel 50 Noten, Akkorde und Choruses auf dem Papier stehen und das ist dann das Material, mit dem du arbeitest?
N.J.: Ich bereite mich jetzt für einen Auftritt im März vor und schreibe gerade ein neues Stück. Jetzt laufe ich gerade durch die Küche. Beidabeidabeida … (Anm.: Nicole begann spontan eine Melodie zu singen, um zu verdeutlichen, wie ihr Arbeitsprozess verläuft.). Jetzt habe ich diese Melodie gesungen, gehe an den Tisch und schreibe die Melodie auf. Anschließend setze ich mich ans Klavier und check die Akkorde. So stricke ich mir ein grobes Muster. Ich schreibe beispielsweise 16 Takte und versende diese an das Trio. Zugleich frage ich, ob sie meine Idee mit Harmonien ausprobieren können. Da ich keine ausgebildete Jazzpianistin bin, ermuntere ich den Pianisten vom Panossian Trio, die Akkorde spannender zu machen, wenn er was Spannenderes zur Melodie findet. So fangen die Songs zu blühen an.
Wie kam es denn zur Entscheidung, Jazzmusikerin zu sein? Es hätte ja auch Klassik, Funk oder Big Band sein können.
N.J.: Ja, das sind ja verschiedene Sachen, die man im Jazz machen kann. Während meiner Zeit an der Hochschule habe ich viel Big Band gespielt, erst 2. Altsaxofon und dann 1. Altsaxofon. Das war auch wahnsinnig spannend. Ich war vom Sound her eher leise und diese Veränderung hat mir dann einen Pusch gegeben, um ein bisschen lauter zu spielen. Big Band Jazz habe ich nach der Hochschule dann nicht mehr wirklich verfolgt. Tatsächlich ist meine Arbeit heute auf Combos ausgerichtet, vom Duo bis zu Sextetten, auch eher im Jazz. Mit meiner deutschen Band war ich lange mit Funk unterwegs. Aber man nennt es ja eher Fusion, oder? Ich mache auch Pop. Jedes Jahr vor Weihnachten spiele ich Pop-Konzerte. Das macht tierisch Spaß. Hauptsache es ist gut, dann spiele ich alles.
Woher beziehst Du als Jazzmusikerin die Anregungen für die Musik? Ich meine jenseits des spontan gesungenen Klangbeispiels. Ich kenne Musiker, die joggen zehn Kilometer, sind dann leer im Kopf und frei für neue Ideen. Es gibt andere, die nehmen Begegnungen zum Anlass für Kompositionen.
N. J.: Ich werde durch alles um mich herum beeinflusst. Ich werde vor allem nachts kreativ, wenn kein Handy mehr klingelt.(Bemerkung unter spontanem Lachen!) Mich beeinflusst aber auch die Umgebung. Ich war jetzt eine Woche im Kloster in Südfrankreich und hatte mein Sopransaxofon mitgenommen. Ich habe dort in den Meditationshallen gespielt, und das war total inspirierend, muss ich ehrlich mal sagen. Räumlichkeiten, Stories, irgendwelche Menschen, denen ich begegne - das sind die Quellen für meine Musik. Noch etwas zur Frage nach den Kompositionen und den Titeln: 'Smell of Spring' war tatsächlich ein Frühlingsduft, der mich zu dem Stück gebracht hat. Ich musste in letzter Zeit wegen der Konzerte sehr früh aufstehen. Wenn du dich dann um 4 Uhr durch Zürich bewegst, dann sind die Bürgersteige hochgeklappt. Da schläft ja jeder. Du läufst durch die Straßen, und es riecht noch so frisch. Das finde ich besonders inspirierend. Der Anlass für 'Schneesturm' war tatsächlich ein Schneesturm.
Wie steht es denn um die Wurzeln des Jazz aus deiner Sicht? Ist es eine us-amerikanische oder doch auch eine europäisch geprägte Musik?
N. J.: Ich habe mich für Jazz erst interessiert, als ich angefangen habe zu studieren. Während meines Studiums habe ich meine Aufmerksamkeit auf Amerika gerichtet, weil von dort her die berühmtesten Saxofonisten stammen. Nordeuropa hat mich aber auch interessiert. Wenn ich an meine letzte CD 'Go On' und an den Song 'Go On' denke, dann merke ich, dass der Song so weit und so sphärisch ist, also an den Norden erinnert. Das ist auch bei der neusten CD 'Colours' der Fall. Ich habe wohl anfänglich mehr auf Dexter Gordon und Cannonball Adderley geschaut. Cannonball war mein erster Heroe auf dem Altsaxofon. Ich erinnere mich aber auch daran – und das ist ganz lustig das Phänomen -, dass mir mein erster Saxofonlehrer in Sulzbach (Saarland) Platten von Jan Gabarek gegeben hat. Da war ich 13. Ich habe die CD aufgelegt und nach dem zweiten Stück ausgeworfen, weil ich überhaupt nichts damit anfangen konnte. Die Musik war irgendwie so weit. Damals war es halt so, dass ich Grooves und Beats brauchte. Mit 19/20 habe ich angefangen Sopransaxofon zu spielen und fand Gabarek dann ganz toll (Lachen aus vollem Herzen). Ich denke, ich brauche beides: das Beatige aus Amerika und das Sphärische aus Skandinavien.
Nochmals zurück zu den Wurzeln des Jazz: Wie wichtig ist das Great American Songbook mit den wichtigen Jazzstandards für dein Spiel? Ich meine dabei u. a. die Musik von Lester Young, Dexter Gordon, Duke Ellington etc. Ist das nur Vergangenes oder auch vorbildhaft und Orientierung?
N.J.: Das gehört alles zum Prozess meines Wachsens mit dem Jazz dazu. Definitiv! Das sind die Roots. Es gibt da für mich ganz klar Cannonball Adderley. Kürzlich habe ich 'You don't know what love is' gespielt. Dann kam jemand auf mich zu und sagte zu mir, das klang vom Sound her wie Cannonball. Daraufhin kam mir in den Sinn, dass ich ja dann wieder dort angekommen bin, wo meine Liebe zum Jazz begonnen hat, bei Cannonball Adderley. Noch etwas: Warum ich überhaupt angefangen habe, Saxofon zu spielen, hängt mit Candy Dulfer zusammen. Ich habe sie spielen hören und das hat mir sofort imponiert. Ich hatte zuerst klassisches Klavier gespielt und das hat auch Spaß gemacht, aber ich wollte eigentlich Songs erfinden und Saxofon spielen. Hätte ich Candy Dulfer nicht in der Sendung „Ohne Filter Extra“ gesehen, wüsste ich nicht, ob ich jemals selbst Musik gemacht hätte. Dulfer war sehr prägend.
Was hat es mit SOFIA auf sich, einem Projekt, hinter dem du maßgeblich stehst? Wie entstand das Projekt? Was machen die Künstlerinnen, die 2014 in Emsdetten gemeinsam musizierten, heute? Gibt es ein Nachfolgeprojekt? Wenn ja, wie sieht es aus?
N.J.: SOFIA ist entstanden, weil ich jungen Mädels etwas weitergeben will, was ich selbst erfahren durfte. Ich durfte bei 'Sisters in Jazz' mitmachen. Das ist ein Programm aus Amerika, das junge Jazzmusikerinnen international fördert. Für mich bedeutete es die Chance, 2003 nach Amerika zu fliegen und dort auf Festivals zu spielen. Seit dieser Zeit hatte ich Kontakte nicht nur nach Amerika. Ich wollte den Mädels einen Rucksack mit Wissen von dem mitgeben, was du brauchst, wenn du frisch von der Hochschule kommst. Sprich, man muss Know-how vermitteln, was man machen muss, um z. B: Gigs zu bekommen, um ein Netzwerk aufzubauen oder sich als Musikerin nach außen darzustellen. Eine der Teilnehmerinnen des Projekts hat klipp und klar gesagt, dass sie das, was sie in zweieinhalb Wochen der Projektarbeit gelernt hat, nicht in den Jahren ihres Studiums gelernt hat. Es geht ja nicht nur darum, dass du mit der GEMA etwas zu tun hast, sondern darum, wie du in Kontakt mit Labels kommst oder auch mit Agenturen und Festivalveranstaltern. Es geht aber auch darum, wie du dich auf der Bühne präsentierst.
Wird es ein Nachfolgeprojekt geben?
N. J.: Das ganze Projekt war auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Das ist ja mittlerweile ein Lieblingsbegriff. Die Musikerinnen von dem Projekt 2014 haben in 2015 die Möglichkeit mit dem Hallenser Festival „Women in Jazz“ zusammenzuarbeiten. Es ist eine tolle Location: die Oper in Halle. Dort habe ich selbst schon zweimal gespielt. Es geht außerdem darum, eine Bilanz zu ziehen und über die Schwierigkeiten zu sprechen, die beim Booking oder bei der Webpräsenz aufgetreten sind. Ja, es geht darum, Nägel mit Köpfen zu machen. 2016 werde ich ein mit einem Stipendium gefördertes halbjähriges Studium in New York aufnehmen. SOFIA wird in Grossformat erst Februar 2016 stattfinden. Es geht bei diesem Projekt schlicht darum, dass die jungen Musikerinnen ihre Karrieren selbst in die Hand nehmen und sich auch managen.
Was sind deine nächsten Projekte?
N.S.: Gewiss, mein neues Album 'Colours'. Zudem habe ich noch eine CD mit meiner ersten akustischen Schweizer Band aufgenommen, die im April 2015 erscheinen wird. Ich habe eine Anfrage für die künstlerische Leitung der Händel-Festspiele in Halle auf meinem Tisch und werde dieses Angebot für ein Crossover-Projekt wahrnehmen. Dafür habe ich u. a. Magnus Öström (dr) an Bord. Nun muss ich mich in Händel einarbeiten; aber das wird bestimmt gut. Als ich in Südfrankreich im Kloster war, habe ich begonnen, die Biografie von Händel zu lesen. Das ist ein wichtiges Projekt für mich, denn ein derartiges Project als Crossover von Klassik und Jazz habe ich bisher noch nicht realisiert. Im März 2015 bin ich in Neuseeland und werde dort neue Songs vorstellen. Ansonsten bin ich wegen SOFIA. in Schweden und Amerika unterwegs. All das ist nur mit den Beziehungen möglich, die ich mir den letzten Jahren aufgebaut habe.
Für diesen Ausblick danke ich dir und wünsche dir toi, toi, toi, ...
© text und fotos: ferdinand dupuis-panther
Informationen
Nicole Jo
http://www.nicolejo.de/de/band/nicole.html
http://www.nicolejohaenntgen.com/live
http://www.federkeil.eu/de/was-ich-habe/nicole-jo.html
Projekt Sofia
http://www.sofia-musicnetwork.com/
Hörproben
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https://myspace.com/2bfunky/music/songs
Emsdettener Jazztage
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