Katrin Scherer: Auf den Moment kommt es an: im Gespräch mit der Kölner Altsaxofonistin




 



Was hat Jazz mit Momentum zu tun?

Ja, es ist immer schwer, einen Bandnamen zu finden. Momentum trifft es eigentlich auf den Punkt: der Moment, in dem Musik entsteht, und der Moment, der 'ne unterschiedliche Kurz- oder Langweiligkeit haben kann. Das drückt die Band für mich aus. Es hat ziemlich lange gedauert, bis ich den Bandnamen hatte. Wir haben erst einmal angefangen zu proben, und dann irgendwann kam dieser Name.

Drückt sich das auch in der Musik aus? Bei Momentum habe ich eher an Bewegung und nicht an Moment gedacht.

Ja. Nee, für mich heißt das mehr die Zeitspanne der Gegenwart, was der Moment ist, was die Gegenwart ist, wenn wir spielen; wie weit so was sich ausdehnt oder staucht. Ja, Musik hat immer eine Bewegung, vor allem improvisierte Musik. Die lebt davon.



Bandleaderin zu sein ist eine Besonderheit in der Szene? Gibt es die Genderfrage im Jazz?

Nein, gibt es nicht. Ich glaube, ich bin zu jung dafür. Ich erlebe so von Leuten, die länger dabei sind, oder Frauen, egal in welchem Umfeld, ob es an der Musikschule ist oder in der Kunst, die 20 Jahre älter sind, die sehen das ein bisschen anders. Die mussten dafür kämpfen. Ich musste nicht wirklich um irgendetwas kämpfen. Ich habe mich immer gleichberechtigt gefühlt. Auch in der Behandlung von Musikerkollegen hatte ich nie irgendwelche Probleme.

Du würdest auch nicht sagen, es gibt eine männliche oder eine weibliche Musik?

Nein, überhaupt nicht. Es gibt gute und schlechte Musik! Aber es gibt natürlich viel, viel mehr Männer im Jazz als Frauen. Das muss man halt sagen. In den meisten Fällen sind dann Frauen auch Sängerinnen. Ich fühle mich nicht benachteiligt, wenn ich die einzige Frau in der Band bin. Da habe ich wirklich nie so darüber nachgedacht.



Welche Affinität gibt es für dich zum Altsaxofon?

Affinität? Das ist die größte Konstante in meinem Leben. Ich spiele das Instrument sehr lange und fand das immer schon gut. Ich musste früher mit Querflöte anfangen, weil in der Blaskapelle eine Querflöte zu besetzten war. Irgendwann gab es auf einmal zu viele Querflöten, und dann habe ich Saxofon gelernt, weil das sehr nahe miteinander verwandt ist. Eigentlich ist es eher zufällig. Ich hätte auch Trompete spielen können.

Es gibt für dich also keine Beziehung zwischen deiner Persönlichkeit und dem Instrument? Ein Beispiel: Es gibt unter Bassisten eher introvertierte Persönlichkeiten, die bei Auftritten gerne ganz hinten auf der Bühne stehen und auf gar keinen Fall Rampensäue sein wollen.

Ja, Bassisten sind meistens sehr angenehme Zeitgenossen, wenn man so probt. Es gibt andere Instrumentalisten, die dann oft ein bisschen zickiger sind. Trompeter sind häufig schwieriger im Arbeitskontext zu handeln. Saxofonisten gelten immer als strebsam. Darüber habe ich nicht wirklich drüber nachgedacht.


War der Griff zum Altsaxofon und nicht zum Tenorsaxofon Zufall?

Nö, ich spiele noch viel Baritonsaxofon. Ich besitze auch ein Tenorsaxofon, spiele es aber sehr selten. Bariton und Alt sind schon meine Hauptinstrumente.

Gab und gibt es Vorbilder?

Es gibt immer Vorbilder. Man muss sich an etwas orientieren. Aus dem Nichts zu wachsen oder etwas zu kreieren, ist relativ schwierig. Ja, natürlich gibt’s Vorbilder. Muss ich Namen nennen? Eigentlich bewege ich mich sehr zurück. Als ich anfing, fand ich Steve Coleman total gut. Mittlerweile geht es sehr zurück zu den Wurzeln. Ich höre viel Cannonball Adderley, auch mal Johnny Hodges. Meine größten Einflüsse sind schon Steve Coleman, Tim Bern – das sind schon Ikonen für mich.



Vielleicht kannst du mal anhand von einigen Titeln die Bezüge von Titel und Komposition erläutern. Vielfach tun sich Jazzer schwer, einen Titel zu finden. Bekannt ist es von Eberhard Weber, der nun bei seiner letzten Veröffentlichung froh war, nur noch den Ort des Auftritts, aus dem er seine Basspassagen herausgefiltert hat, als jeweilen Titel zu nutzen.

Ich behandele das auch eher stiefmütterlich. Ich schreibe Musik aus einem Impuls heraus. Ich sitze meist am Klavier oder spiele Saxofon – das ist durchaus unterschiedlich – und improvisiere so vor mich hin. Irgendwann passiert etwas, was ich gut finde. Das schreibe ich dann auf. Wenn ich gut und konzentriert bin, dann arbeite ich daran weiter. Sonst bleibt es erst einmal in dem Skizzenbuch. Der Titel kommt eigentlich erst, wenn wir das Stück dann spielen. Meine Kompositionen sind auch nicht hundertprozentig fertig, wenn ich in die Probe gehe. Da stehen zwar Noten, aber da ist noch so viel Verhandlungssache, immer abhängig von den Leuten, mit denen ich zusammenspiele und die sehr viel Gestaltungsfreiraum haben. Wenn ich dann öfter Probenmitschnitte anhöre, dann stellt sich ein Gefühl ein, wo ich dann sage: 'Hej, das muss der Titel sein. Das passt zum Stück.' „Neon“ ist das erste Stück, das ich für das Programm und die aktuelle Besetzung geschrieben habe. Es ist ein Stück, das direkt losgeht und was hell ist; was da ist, sehr fassbar und konkret ist, eine Basslinie hat, die sehr aktiv ist und zwei polyfone Stimmen – das ist für mich „Neon“. - „Moonraker“ ist für mich der großartigste James-Bond-Film und passte ein bisschen zu dem Stück.


Haben Titel eine gewisse Beliebigkeit für dich?

Ja. Es gibt ein Stück, da bin ich mit dem Titel gar nicht zufrieden, aber mir ist nichts anderes eingefallen, und so ist es ein 08/15-Titel: „Sold out“.

Ihr spielt mit Notenblättern vor euch. Ein Grund dafür?

Ich könnte das auch auswendig spielen, und ich habe es auch größtenteils auch schon auswendig gelernt. Da steht aber in den Notierungen so die Marschrichtung, also wo es hingeht, welche Teile sich wie aneinanderfügen.


Ich danke für das Gespräch.


Interview und Fotos: © ferdinand dupuis-panther

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