Karolina Strassmayer: im Gespräch mit der Alt-Saxofonistin die zum Ensemble der WDR-Big-Band gehört

Karolina Strassmayer durfte ich im Dachtheater in Warendorf mit ihrer Einspielung „Small Moments“ hören. Für diesen Liveauftritt hatte sie sich statt des Gitarristen Cary DeNigris den Vibrafonisten Stefan Bauer an ihre Seite geholt. Verfolgt man ihre weiteren Auftritte mit der eigenen Band, so spielt gelegentlich auch ein Pianist statt des Vibrafonisten Stefan Bauer in der Band mit.

Wenn Sie den Begriff Jazz hören, was verbinden Sie damit?

Freiheit, Kreativität, Lebendigkeit, Lebenskraft, Kommunikation, Energiefluss – das sind meine ersten und stärksten Assoziationen.

Wann sind Sie denn zum ersten Mal mit Jazz, welcher Stilrichtung auch immer, in Berührung gekommen?

Im Alter von 17 Jahren hat mir eine Schulfreundin eine Kassette gegeben. Damals bin ich mit einem Walkman in die Schule gefahren. Ich hatte einen sehr langen Schulweg und musste um 6 Uhr früh in den Zug einsteigen. Eines Morgens kam meine Schulfreundin und erzählte mir, ihre Schwester habe Kassetten weggeworfen. Die habe sie sich geholt. Das ist aber lauter so Gedudele. Und sie sagte: 'Das mag ich nicht, willst du das haben?' Dann gab sie mir die Kassette, und ich dachte: 'Na gut, dann sitze ich eine Stunde im Zug. Warum nicht.' Und es war 'Kind of Blue' von Miles Davis. Was war das Erste, was ich gehört habe? Cannonball Adderley. Das hat mich einfach umgehauen. Ich hab es gehört und wusste nicht, was das ist. Ich wusste nicht einmal, was für ein Instrument das ist. Es war der Klang des Instruments, natürlich der Klang von Cannonball und die Musik, die ich überhaupt nicht verstanden habe, aber die zu mir gesprochen hat, und zwar auf eine Art und Weise, die ich nie vorher erlebt hatte. Ich hatte vorher viel klassische Musik und Volksmusik gespielt. Das war so ein intensiver Moment, als im Zug saß und das hörte. Ich dachte: 'Ich muss das machen. Was ist das? Ich will das verstehen, nee.' Das war die Initialzündung.

Sie haben angesprochen, dass Sie Klassik und Volksmusik gespielt haben. Vermutlich auf dem Piano und nicht mit einem Blasinstrument?

Ich habe Querflöte gespielt. Ich habe auch gesungen. In meinem Heimatort, Bad Mittendorf, gab es einen Mädchendreigesang in einer traditionellen steirischen Besetzung. Alle drei haben gesungen, und ich habe auch Querflöte gespielt. Dazu gab es Gitarre und Bass. Auf dem Klavier habe ich klassische Musik gespielt.

Haben Sie denn sogleich mit dem Hören von Miles und Cannonball die Entscheidung getroffen, Saxofon spielen zu wollen?

Wie weitreichend die Entscheidung damals gewesen ist, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Ich habe meine Mutter und meinen Opa dahingehend gelöchert. Mein Opa war Kapellmeister der örtlichen Kapelle. Dem habe ich die Kassette mal gegeben und ihn danach gefragt, was die denn da machen. Mein Opa sagte: 'Ja, ich glaube das ist ein Saxofon . Ich kenne den Klarinettisten in der Kapelle, der hat früher beim Militär Saxofon gespielt. Da gehst du jetzt mal hin und fragst, ob du mal Saxofon spielen darfst. Das habe ich gemacht. Das Saxofon war 20 Jahre lang nicht gespielt worden. Da durfte ich mal reintröten. Dann habe ich auch einen Lehrer gefunden, der Jazzsaxofon in Graz studiert hatte. Ich habe ein paar Stunden Unterricht genommen und war sofort Feuer und Flamme. Da ich schon Querflöte gespielt hatte, war das mit den Griffen nicht schwierig. Ich konnte gut Noten lesen. So konnte ich denn auch schnell improvisieren. Mein Lehrer hat mich auf seine Gigs mitgenommen, wo ich auch mal ein wenig mitspielen durfte. Das waren meine ersten Schritte, und der Weg war danach vorgezeichnet. Ich wollte dann studieren, was ich auch in Graz gemacht habe. Die Entscheidung dafür, Musik zu studieren und zum Beruf zu machen, kam etwa innerhalb eines halben Jahres.

Waren Sie so etwas wie eine Exotin?

Ja schon, klar, ich komme aus einer ganz kleinen, ländlichen Gemeinde. Die Musik war exotisch, das Instrument war es und die Tatsache, dass es eine Frau spielt. Das hat sicherlich für mich einen Teil der Faszination ausgeübt. In erster Linie die Musik selbst und das es etwas Außergewöhnliches war. Ja, das hat mir durchaus gefallen.

Jetzt gilt ja Jazz als verkopft, intellektuell und elitär. Teilen Sie diese Meinung?

Ich glaube, es gibt Jazz, der verkopft ist, aber Jazz als solcher ist nicht verkopft. Es gibt Jazz, der wahnsinnig melodiös und warm ist. Es gibt aber auch verkopften Jazz. Das ist in der Klassik genauso. Es gibt lyrisch-romantische Musik und solche, die einfach nur den Kopf anspricht. Ich persönlich mag es als Musikerin, herausgefordert zu sein oder mich herauszufordern, rein vom Musikalischen und Spielerischen her. Ich suche aber immer auch eine Schönheit, die mir angenehm ist. Ich meine nicht damit, dass es glatt ist und dahin plätschert, aber ich suche schon Schönheit in der Musik. Das Schaffen von etwas Schönem ist eine große Triebkraft für mich.

Wie betrachten Sie denn nach Ihrem langen USA-Aufenthalt Jazz, als afro-amerikanisch oder als europäisch geprägt?

Vom Ursprung her ist die Musik afro-amerikanisch geprägt. Das gibt es für mich kein Drumherum. Das Konzept des Swings, das Feeling, ist absolut eine afro-amerikanische Kreation. Da lege ich mich auch mit jedem an, der das Gegenteil behauptet. Dass die europäische Ästhetik, auch der Klassik, mit dem modernen Jazz zu tun hat, das stimmt auch. Jazz, den ich spiele, der ist ganz klar in der afro-amerikanischen Jazztradition verwurzelt, was den Rhythmus, was das Swing-Gefühl, die Phrasierungen und die Sprache betrifft. Ich bin auch beeinflusst von den großen europäischen Komponisten. Das eine schließt das andere nicht aus. Der europäische Jazz hat sich ja auch im Laufe der Jahre emanzipiert.

Bei Ihnen wohnen ja, das klingt pathetisch, zwei Seelen in einer Brust: Sie haben Ihr eigenes Ensemble und Sie spielen in einer Big Band. Das sind für mich zwei Welten, musikalisch. Wie schaffen Sie den Spagat?

Ich empfinde es nicht als Spagat. Ich empfinde es als zwei Pole, die sich ergänzen und anziehen. Ja, die Big Band ist ein Ensemble aus 18 Personen oder mehr, in dem ich mich einfüge und Teil eines Ganzen bin. Wenn ich Solo spiele, stehe ich vor der Band und gebe ein Statement. Spiele ich im Quartett, dann spiele ich klar meine Sachen. Es ist aber in beiden Fällen so, dass man nach vorne tritt und dann wieder zurück ins Ensemble. Auch beim Quartett stehe ich nicht stets als alleinige Solistin da. Ich suche in beiden Fällen eine Vitalität. In der Big Band, wenn da alle loslegen, dann ist es erhebend. Das suche ich aber auch beim Quartett.

Aus meinem Verständnis von Big Band ist es eine sehr stark arrangierte und notierte Musik, die wenig Luft für freies Spiel ermöglicht. Hingegen in kleineren Formationen scheint mir dafür mehr Raum zu sein.

Ja, das ist schon richtig. Es ist schon zweifelsfrei ein Unterschied, ob ich einen Part übernehme oder frei spiele. Ich schaffe mir diese Gelegenheit auch mit meiner Band. Ich möchte es nicht so sehen, dass bei der Big Band die Noten vor dem Gesicht sind und es dann heruntergespielt wird. Eine Big Band ist ja keine Maschine. Eine Big Band klingt auch nur lebendig, wenn die einzelnen Parts und die Soli lebendig klingen. Insofern sehe ich die Unterschiede nicht so extrem wie Sie.

Ist Ihre eigene Musik notiert und arrangiert? Wenn ja, in welcher Weise? Wenn nein, wie viel Raum ist für Improvisation gegeben? Wie wichtig ist dieser Raum für Sie?

Manche Stücke haben relativ wenige Vorgaben, sodass es die Freiheit gibt, jedes Mal etwas anders zu spielen. Andere Stücke hingegen sind stärker strukturiert. Die meisten meiner Stücke haben schon eine Melodie mit Akkorden und einer Struktur, über die improvisiert wird. Ich versuche meine Stücke auf der einen Seite für die Zuhörer und uns interessant zu machen, aber auf der anderen Seite simpel genug, um uns beim Spielen nicht zu beschweren und nicht mit einer Komplexität zu konfrontierten, die beim freien Spiel hindert. Ich denke, dass die meiste Kraft in der Musik dann entstehen kann, wenn man authentisch ist. Dies fällt mir leichter, wenn ich das über ein Stück mache, das nicht sehr, sehr komplex ist.

Welche Anregungen brauchen Sie für Ihre Kompositionen? Themen, Bilder, Begegnungen, Geschichten etc.?

Von allem etwas. Es sind schon immer Sachen, die für mich aktuell sind, ob das eine Begegnung mit einem Menschen ist. 'Small Moments' habe ich beispielsweise geschrieben, als mir klar wurde, dass das Leben eine Aneinanderreihung dieser kleinen Momente ist und dass es nicht darum geht, ständig in die Zukunft zu schauen. Das ist schon ein sehr menschliches Streben, aber man darf dabei nicht das übersehen, was gerade in dem Moment geschieht. Ein anderes Stück habe ich nach einer Begegnung mit einem Steinbock in den Alpen komponiert. Der hätte uns fast mit seinen Hörnern vom Weg geboxt. Es hat also immer etwas mit meinem (Innen)leben zu tun.

Wie wichtig ist das Great American Songbook mit den wichtigen Jazzstandards für Ihr Spiel? Ich nennen mal „Ohrwürmer“ wie 'My Funny Valentine', 'Dream a little Dream', 'Take 5' oder 'The Girl from Ipanema'.

Meine Kompositionen sind schon von Jazzstandards beeinflusst. Ich habe sie jahrelang gespielt und spiele dies auch noch mit der WDR-Big-Band. Mit meiner eigenen Band spiele ich meine eigenen Kompostionen und ab und zu mal einen Standard. Ich suche nach einem Repertoire, das persönlich ist. Sicherlich kann man auch Standards sehr persönlich interpretieren. Da gibt es Musiker, die es wunderbar machen. Mein Ziel ist schon eher selber Stücke zu schreiben. Ich habe im Laufe der Jahre gemerkt, dass mich Komponieren als Musikerin auch weitergebracht hat. Es macht mich authentischer. Ich versuche Musik zu schreiben, die uns Gelegenheit gibt, loszulassen und loszulegen. Zu Jazzstandards zieht es mich im Moment weniger hin.

Nochmals zu Ihrer Bandbesetzung: Auf 'Small Moment' haben Sie einen Gitarristen an Ihrer Seite. Wenn Sie unterwegs sind, spielen Sie stattdessen zusammen mit dem Vibrafonisten Stefan Bauer, so wie ich Ihren Auftritt im Dachtheater Warendorf erlebt habe, oder einem Pianisten. Gibt es einen Grund für die unterschiedliche Besetzung?

Der Gitarrist Cary DeNigris ist mein absoluter Lieblingsmusiker, mit dem ich mittlerweile acht CDs aufgenommen habe. Der ist nach L. A. gezogen. Als wir alle noch in New York gelebt haben, haben wir viel zusammengespielt und aufgenommen. Dann bin ich nach Köln gegangen. Dann könnten wir es irgendwie organisieren, Cary für eine Tour nach Europa zu holen. Dann ist er nach Chicago und dann nach L. A. und jetzt ist er wirklich sehr, sehr weit weg. Es ist aber nicht nur die Frage des Instruments, sondern auch desjenigen, der das Instrument spielt. Das ist mir eigentlich wichtiger als alles andere. Ich habe schon Gitarre bewusst gewählt, weil ich die Transparenz des Instruments sehr liebe. Das zweitbeste Instrument ist, so finde ich, das Vibrafon. Was ich am Vibrafon sehr liebe, ist der Umstand, dass es diese Transparenz hat, aber es hat auch einen perkussiven Charakter wie ein Klavier.

Was sind Ihre nächsten Projekte?

Mein Wunsch ist es, immer authentischer zu werden, in dem was ich tue; einfach mich noch persönlicher als Komponistin und als improvisierende Künstlerin auszudrücken. Mit anderen Worten, ich strebe danach, immer besser zu werden. Ich nehme jedes Jahr oder zweite Jahr eine neue CD auf. Ich schreibe meine eigenen Kompositionen und ich bin der glücklichste Mensch auf Erden, wenn ich das bis an mein Lebensende machen kann.

Ich danke für das Gespräch.

© Text: ferdinand dupuis-panther

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