Jens Düppe: Interview mit dem Schlagzeuger

Anlässlich des Erscheinens des Debütalbums “Anima” traf ich Jens Düppe zu einem Gespräch. Jens Düppe, das muss man wissen, wandelt abseits seines eigenen Quartetts in der Welt des elektronischen Jazz, wenn er mit „Neofobic“ auf der Bühne steht, und ist Teil der Band des luxemburgischen Vibrafonisten Pascal Schumacher. Gut vernetzt ist er auch in Belgien. So spielt er immer wieder mit Frank Deruytter und Frank Vaganée.

Als „Schwabenkind“ träumt man da in der Provinz nicht eher von einem Leben als Rockmusiker als von Jazz?

JD: So ging's natürlich los, als Rockschlagzeuger in einer Rockband mit eigenen Stücken und schwäbischen Texten, mit Keyboards, zwei Gitarren und Sänger; 'ne richtige Rockband. Wir haben auch in Jugendzentren usw. gespielt. Zum Jazz kam ich über die Platte „Kind Of Blue“ von Miles Davis, die meine Mutter abends irgendwann einmal auf dem Plattenspieler gespielt hat. Die habe ich mir auf Kassette überspielen dürfen. Das war mein Einstieg. Das hat mich fasziniert. Irgendwie mochte ich den Sound. Dann habe ich Jazz studiert in Weimar und Amsterdam. Die Rockband hat sich dann aufgelöst, weil ich zum Studium weggegangen bin.


Worin siehst du denn die Herausforderungen für einen Schlagzeuger, wenn du Rockmusik und Jazz miteinander vergleichst, auch im Hinblick auf deine Erfahrung mit dem 4tet von Pascal Schumacher?

JD: Pascal ist den Weg von sehr akustischer Musik vor ungefähr fünf oder sechs CDs in Richtung größerer Besetzung gegangen, E-Bass statt Kontrabass, Keyboards und einige Bläser dabei, die teilweise auch Keyboard ähnliche Funktionen haben. Das ist der Weg, den Pascal geht, und wir gehen den Weg mit ihm. Du hast aber auch etwas anderes gefragt. Ich würde mich erstens nicht als Rocktrommler bezeichnen und zweitens auch nicht in dem, was ich hier mit Pascal mache. Rock und Jazz, das sind zwei ganz unterschiedliche Stilistiken, die ganz unterschiedliche Spielarten voraussetzen, und ich würde nicht sagen, dass das eine mehr Wert ist als das andere. Jeder weiß: Jazz ist filigraner, ist leiser, ist vielleicht dynamischer und braucht mehr Übung in Richtung Koordination oder vielschichtigen Spielens. Rock ist oft straight ahead und unterscheidet sich vor allem im Sound, den der Trommler macht. Man muss entweder ein Leben lang das eine oder ein Leben lang das andere machen, um es wirklich gut zu machen, um den Sound und die Sprache zu verinnerlichen. Deshalb gibt es auch keinen Trommler, der jetzt in beiden Genres angesiedelt ist und auf Weltniveau trommelt, Rock wie Jazz. Ja, es gibt Jazz Rock, aber wir sprechen ja von etwas anderem. Ausnahmen gibt es wie Peter Erskine, meinetwegen auch in den 80er Jahren Steve Gadd . Das sind Trommler, die sind irgendwie in beiden Welten zu Hause, aber das sind Ausnahme und bestätigen die Regel. Als Rocktrommler würde ich Peter Erskine letztendlich auch nicht bezeichnen.

Wie siehst du denn Ginger Baker, der ja angefangen mit Art Blakey zu spielen, bevor er dann mit Cream Erfolge feierte und nun wieder ins Genre Jazz zurückgekehrt ist?

JD: Es ist so eine Attitüde, die Musiker und Künstler ausmachen. Man kann aber letztlich sagen, einer kommt vielleicht eher da her, auch wenn er sich mal zwischen den Welten bewegt. Es sind alle Ausnahmen: Leute, die es schaffen, von der einen in die andere Welt und von mir aus auch wieder zurückwandern. Es bleibt aber immer viel hängen von jeder Welt, in der man sich musikalisch bewegt, und das prägt einen. Reiner Rock und reiner Jazz – das sind ganz unterschiedliche Klänge.


Der Schlagzeuger agiert ja ähnlich wie der Bassist in einer Jazzformation eher hintergründig. Ist das anders, wenn man wie du ein Quartett „leitet“? Welche Rolle spielst du in deiner eignen Band? Gibt es unterschiedliche Rollen?

JD: Na klar. Du meinst sicher auch die Situation von eben auf der Bühne (Anm.: Das Gespräch fand im Anschluss an den Soundcheck mit Pascal Schumacher and friends statt!). Da kam jetzt während des Soundchecks Kritik vom Trommler, nett natürlich. Positiv gesagt: Lasst uns doch mal an dieser Stelle in der Musik mehr eine Geschichte erzählen. Zum Beispiel so oder so. Vom anderen Sideman, Pianist, kommt dann: „Jens, du kannst ja auch den Akzent setzen.“ Das stimmt natürlich, aber in dem Fall ist es so, dass ich eigentlich - von der Komposition angelegt - ganz basic agieren soll. Aber diese Geschichte gehört deshalb zur Frage und ist ganz lustig, denn da haben sich zwei Sidemen darum gekümmert, dass die Band besser klingt. Daran sieht man schon, egal welcher Musiker und egal, wo er auf der Bühne steht, vorne oder hinten, rechts oder links, jeder ist auf der Bühne Dirigent. Der Schlagzeuger ist, nicht nur in der Big Band, sondern überhaupt immer tonangebend im Sinne von Dynamik und Groove. Das sind alles Dinge, die wir kennen. Jeder Musiker muss einen Trommler in sich haben, sonst ist er kein kompletter Musiker. Es gibt keinen Bassisten, Pianisten oder Trompeter, der nicht richtig groovt. Die Viertelnoten von Frank Sinatra grooven so gut wie bei wenig anderen Musikern. In jedem muss ein Trommler drinstecken. Trommler bedeutet für mich das Agieren aus dem Hintergrund, begleitend, Hintergrund aber halt mehr gemeint: von hinten auf der Bühne. Letztendlich ist er immer präsent und hat in jeder Sekunde Einfluss darauf, wohin die Musik geht. Als Trommler kann man das sehr einfach erreichen, auch durch die Lautstärke, wenn es denn sein muss. In meiner eigenen Band komponiere ICH die Musik. Da komme ich in die Probe mit einem Stück, mit einer Vision und einem Klang im Kopf, der Freiraum für die anderen lässt – ich möchte auch, dass meine Bandmitglieder den Freiraum füllen und den lasse ich auch oft in der Komposition. In der Probe erkläre ich etwas zu meinen Stücken. Dann müssen alle erstmal alles so spielen, wie ich es vorgegeben habe, und erst dann wird gemeinsam darüber gesprochen. Na klar, ein Bandleader formt von vornherein noch viel mehr, vor allem wenn er auch Komponist ist. Nachher auf der Bühne sind wir wieder alle gleich.

Für das Album “Anima” hast du ganz wesentlich eigene Kompositionen beigesteuert. Wie entwickeln sich die Kompositionsideen? Erst eine Melodie oder erst ein Rhythmuspaket oder gibt es von außen Impulse?

JD: Alles, was du eben angesprochen hast, stimmt, und ist in einer relativ gleichberechtigten Form da und kann Anlass zu einer Komposition sein. Ich hatte im Studium auch Klavier als Nebenfach. Das heißt, man lernt da die Jazzakkordlehre und Kadenzen usw., aber ich habe kein „muscle memory“, was jetzt irgendwie Komposition, Arrangements oder Klavierspiel angeht. Mit „Muscle Memory“ (Anm.: motorisches Gedächtnis) meine ich einfach die Dinge, die automatisch kommen. Wenn ein Pianist sich hinsetzt und einen Akkord spielt, da hat er halt in vielen Fällen schon danach einen bestimmten anderen Akkord gespielt. Die Tendenz wäre es, Wege zu gehen, die schon oft beschritten wurden. Die kenne ich halt im Falle Klavier zum Beispiel nicht gar so gut, und darin sehe ich die Chance, dass mal eine Melodie, mal ein Rhythmus, mal ein Klang in der Natur, mal eine Geschichte und nicht-musikalische übergeordnete Ideen zu einer Komposition führen können. Das ist in meinem Fall vielleicht eher möglich als bei jemandem, der das Komponieren klassisch studiert hat. Von mir sind ja noch gar nicht so viele Wege beschritten worden. Deshalb fühle ich mich ziemlich frei. Ich finde dennoch immer wieder zu meinem Sound, dem Jens-Düppe-Sound, wenn ich komponiere. Man könnte sonst denken, ich beschreite hundert Wege in hundert Richtungen und es kommen dann hundert ganz verschieden klingende Stücke heraus. Das ist aber deshalb nicht so, da die Art, wie ich mit dem Material umgehe, immer ich. selbst bin. Ich klebe das alles kompositorisch dann sozusagen zu einem homogenen Sound zusammen.

Ich würde das Thema des Komponierens gerne noch ein wenig vertiefen. Könntest du daher bitte mal den Prozess der Entstehung von „Peanut Butter & Jelly“ schildern?

JD: Bei dem Stück stand am Anfang der Gedanke, etwas in einem Siebener-Rhythmus zu machen, der nachher aber unterbrochen wurde. Das hat dann die Melodie bewirkt. Da war der Rhythmus in Sieben, und es gab die Idee, chromatisch zu arbeiten. Da saß ich dann auch wirklich am Klavier. Ich habe mit der Melodie gespielt und diese weiterentwickelt. Es gab Melodiestellen, die wollten von sich aus länger sein. So ist der Siebener- ab und an zum Elfertakt geworden. So hat das Stück seine komplexe Struktur bekommen. Melodie und Rhythmus waren beide gleichermaßen Ausgangspunkte der Komposition.

Es gibt ein Stück auf dem Album „Anima“ da bist du im Solo zu hören.

JD: Ja, das ist ein Intro zu dem nachfolgenden Stück. Dieses Intro ist in Ansätzen sogar komponiert. Bei einem Album stellen sich eher Frage, wie reihe ich die Stücke aneinander, wie viel Pause soll zwischen den Stücken sein, wie packe ich Intros davor und welches Intro spiele ich überhaupt. Das Solo ist schon improvisiert mit dem Gedanken, dass ein anderes Stück folgt. Ich wollte darauf hinführen und auch sehr melodisch sein. Ich habe mich dann für Minimalistisches entschieden, auch wenn es eine etwas virtuose Stelle gibt. Das nachfolgende Stück ist „Toast & Salted Butter“. Das Intro dazu lasse ich an einem Punkt ausklingen, an dem es eigentlich noch weitergehen will. Dann kommt der Trackmark auf der CD. Es ist halt eine eigenständige Komposition, das Intro. Das Stück heißt nach einem Wind „Maestrale“. Ich hatte drei kleine Intros auf der CD gebraucht, um insgesamt eine gute Geschichte zu erzählen und eine gute Dramaturgie aller Stücke hinzubekommen. Dazu habe ich eine Quartett-Improvisation genommen, indem ich den Musiker ein paar Vorschriften zur Stimmung gemacht habe. Wir haben verschiedene Versionen gespielt, und dann habe ich mir eine herausgesucht. Wir haben „Anima“ in Sardinien aufgenommen, und ich habe die drei Impros nach Winden benannt, die für den Norden Sardiniens wichtig sind. Der Scirocco kommt aus Nordafrika und streicht lang übers Meer, ist sehr feucht und drückend. Der Maestrale kommt aus Südfrankreich, eigentlich ein Schönwetterwind, aber leider oft ein bisschen zu stark – das ist das Schlagzeug-Intro. Dann gibt es noch den Graecale, den wirklichen Schönwetterwind.

Welche Affinität gibt es für dich zu Sardinien, bedenkt man, dass auf dem Debütalbum dort typisch auftretenden “Mittelmeerwinden” jeweils eigene Kompositionen gewidmet sind? Auch wird dies auf dem Albumtext auch herausgehoben.

JD: Das war nicht mein Plan, dass das Thema Sardinien so hervorgehoben wird, als die CD entstanden ist. Die Winde gibt es in anderen Teilen der Welt auch. Die Presse hat aber einfach den Bezug zu Sardinien gemocht. Ich kenne Sardinien seit sieben Jahren. Sardinien ist eine ganz tolle und noch wenig erforschte Insel. Die Costa Smeralda ist überflutet von Touristen. Kaum geht man 20 Kilometer ins Landesinnere, wirst du 100 Jahre in der Zeit zurückversetzt. Die Insel ist 50 Kilometer breit und 300 Kilometer lang. Warum bin ich da hin? Ich kannte das Studio mit nur einem Raum schon. Ich wollte sowieso mit allen Musiker in einem Raum aufnehmen, weil ich den akustischen Sound einfach wollte. Ich wusste, dass die Band soviel Vertrauen hat, dass wir das machen können. Dafür, dass man in einem Raum aufnimmt, müssen aber alle immer richtig spielen. Man kann da praktisch nichts nachträglich schneiden. Ich habe gemerkt, wenn ich reise - ob nun nach Japan, Korea, oder Amerika oder Skandinavien - und mich dort nicht auskenne mit der Kultur, entsteht eine ganz spezielle Wachheit. Es gibt auch im Rheinland rund um Köln ganz tolle Aufnahmestudios, wo wir alle schon ganz, ganz oft waren. Ich wollte nun an einen Ort, wo diese Wachheit auch bei meinen Mitmusikern entstehen kann. Wenn einem die Dinge um einen herum fremd sind, muss man mit offenen Augen und Ohren umhergehen. Alles ist neu; keiner kennt sich aus. Ich glaube, das hat auch in Sardinien funktioniert und ich bin sehr zufrieden mit der Musik des Albums.

Was macht den Reiz von “Neofobic” im Vergleich zu deinem Quartett aus? Kannst du mal bitte die Besetzung und auch die Musik ein wenig näher beschreiben?

JD: „Neofobic“ ist Dimitar Bodurov, ein bulgarischer Pianist, der in Holland lebt und den ich dort kennengelernt habe, sowie ich. Er spielt Klavier, ich spiele Schlagzeug und dann gibt es noch das Element „live sampling“. Das heißt, dass ehe das Signal raus in den Saal geht, es erst bei Dimitar durch den Computer geht und er Effekte drauflegt. So bekommt das Ganze eine elektronische Komponente. Das Album klingt sogar sehr elektronisch, obgleich gar nichts Elektronisches im eigentlichen Sinne verwendet worden ist, außer dem „live sampling“. Es wird frei improvisiert, ohne irgendetwas abzusprechen. Je öfter man spielt, desto mehr stellen sich Stimmungen ein, in die man fällt. Das ist auch ganz schön. Daraus ergeben sich letztlich Stücke. Für das Album haben wir zwei Tage lang improvisiert, ohne irgendetwas zu wiederholen. Danach haben wir uns für Stücke entschieden, die auf der Platte zu hören sind. Das Album ist in Skandinavien erschienen, auf dem Label von Bugge Wesseltoft. Es ist etwas sehr Intimes. Die CD ist sehr minimalistisch. Wir haben uns für einen Klang, einen minimalistischen Klang entschieden. Live ist es durchaus aufgeweckter.

Du organisierst eine Reihe namens Kommunikation 9. Lebst du da deine Affinität zur Improvisation aus?

JD: Ich mag das forschende, freie Improvisieren. Wie frei ist denn frei? Mich interessiert schon sehr das Thema freie Impro. Mich interessiert das Thema der interdisziplinären Zusammenarbeit, mich interessiert, verschiedene Kunst- und Musikgenres zusammenzubringen, auch Tanz und Literatur, alles immer auf ein gemeinsames Thema bezogen. Das ist ja meine Reihe, immer zuerst ein Thema und ein Spielort, und die Wahl der Musiker, die sich mit dem Thema befassen sollen, kommt eigentlich erst ganz zum Schluss. Ich mag es aber auch zu komponieren. Ich mag Komplexes, aber auch Einfaches. Ich mag es, mal draufzuhauen, ich mag aber auch ganz leise Töne. Wenn eines von alledem nicht da wäre, würde es mir fehlen. Ich fühle mich in einer guten Balance bei den Sachen, die ich mache. Ich fühle mich auch akzeptiert in den recht unterschiedlichen Dingen und Stilen. Es ist an sich eher schwierig in verschiedenen Musikgenres zu agieren, so wie ich das mache. Ich empfinde es als Glück und Bereicherung, in verschiedenen Szenen und Welten unterwegs sein zu können. Wohin das alles noch führt, finde ich spannend.

 

Ich danke für das Gespräch.

Interview und Fotos: © ferdinand dupuis-panther

Informationen

Jens Düppe
www.jensdueppe.de
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