Anlässlich eines Konzerts in der BLACK BOX Münster hatte ich Gelegenheit mit dem in Winterthur beheimateten Gitarristen zu sprechen.
Der eigene Vater als Lehrer – und was hatte das für Auswirkungen auf die musikalische Karriere? War es Bürde, Last, Herausforderung, schwierig?
Dave Gisler : Ja, alles ein bisschen, aber im Nachhinein war es sicherlich ein Segen. Wir haben lange zusammen gearbeitet. Von meinem achten Lebensjahr an, bis ich schlussendlich 14 war. Da gingen wir durch alles, durch Tränen, durch Schweiß, viel Freude auch natürlich.
Die Gitarre war immer das Instrument, das du für dich im Kopf hattest?
Dave Gisler : Ja, das war schon irgendwie so, Als ich anfing mit acht Jahren, da habe ich mir nicht so richtig Gedanken darüber gemacht, ob ich das beruflich machen will oder wie die Zukunft aussieht. Wir waren in Indien für ein Jahr. Da hat mein Vater für mich eine kleine Gitarre mitgenommen. Damit hat es ein bisschen angefangen, und dann hat er gefragt: „Möchtest du Unterricht haben?“. Dann habe ich täglich ein bisschen Unterricht gehabt. Über die Jahre wurde es immer mehr eigentlich, mit einer Unterbrechung, als ich zwölf war, Da waren wir in Frankreich zurzeit und dann ging ich dort in die Schule. Und dann hatte ich auch keine Zeit dafür. Ich konnte auch nicht gut Französisch. Ich ging ohne Sprachkenntnis in diese Schule. Das war völlig absurd. Ich hatte am Unterricht auch nicht wirklich teilnehmen können. Ich saß einfach herum. Kurz gesagt, irgendwann kamen meine Eltern und sagten, es ginge so nicht weiter. Du müsstest jetzt zusätzlich noch Sprachunterricht nehmen. Und dann ergab sich die Frage meine Eltern, ob ich den Weg in der Schule in Frankreich gehen will, oder wieder zurück zu den Eltern und Homeschooling sowie Gitarrenunterricht? Dafür habe ich mich dann entschieden. Dann gab es sehr intensiven Gitarrenunterricht bis zu sechs Stunden am Tag; hauptsächlich spielten wir klassisches Repertoire.
Ich habe deine Biografie doch so verstanden, dass deine Eltern zwar nicht Weltenbummler im engeren Sinn waren, aber so umtriebig, dass sie auf Zeit außerhalb der Schweiz leben wollten und dich auch auf ihre Auslandsreisen mitgenommen haben?
Dave Gisler : Ja, zeitweise gab es Krisen in der Beziehung, sie waren auch mal getrennt und kamen dann wieder zusammen. Sie mussten dann weg aus dem Ort, in dem sie gelebt hatten, weit weg. Es wäre auch möglich gewesen, in Indien zu bleiben oder anderswo. Sie reisen gerne; sie wollten die Welt kennen lernen, verschiedene Kulturen. Indien war für sie ein Wunschziel schon seit längerem.
So eine Art Sehnsuchtsort?
Dave Gisler : Ja.
Wo wart ihr denn? In Goa?
Dave Gisler : Wir waren auch in Goa, für fünf Wochen, aber vor allem in Nordindien und Rhishikesh ein halbes Jahr.
Hat das für dich Einfluss gehabt, kulturell, musikalisch?
Dave Gisler : Ich denke, es hat mich als Mensch sehr geprägt. Wenn man als kleines Kind in eine so andere Welt plötzlich gestellt wird, ist das schon eindrücklich. Da bleiben viele Eindrücke hängen, was man sonst nicht hat, wenn man stetig in dem Alltagstrott an gleichem Ort lebt. Da sind nicht so viele Erinnerungen mehr vorhanden, wenn man nur an einem Ort gelebt hat. Das habe ich in Gesprächen mit anderen festgestellt. Bei mir sind die Erinnerungen sehr präsent, weil der Kontrast so extrem war.
Woher kommst du ursprünglich?
Dave Gisler : Aus der Innerschweiz, Kanton Uri. Jetzt lebe ich in Winterthur.
Wie kam es denn zu dem Sprung von der klassischen Gitarre zur Musik, die du heute machst? Ich würde da von Jazz Rock und Prog Rock sprechen.
Dave Gisler : Ja, da war die Musik der 1960er Jahre, der Pop Musik, ein wichtiger Einfluss. Bei Jimi Hendrix bin ich dann lange hängen geblieben. Das war wirklich ein sehr wichtiger Einfluss. Und dann war noch eine wichtige John Scofield-Episode. Beide waren quasi Einstiegsmusiker für mich in den Jazz. Ich höre zuhause sehr viel Jazz, vor allem auch John Coltrane. Die freie Improvisation war auch immer sehr wichtig für mich. Sie ist auch immer noch ein wichtiger Faktor in meiner Musik heute.
Habe ich es richtig aus deiner Biografie verstanden, dass du dich für ein eher musikpädagogisches Studium und nicht für ein reines Studium der Gitarre entschieden hattest? Und dennoch stand am Ende nicht die Schule oder die Hochschule, sondern das Leben als freiberuflicher Musiker.
Dave Gisler : Ich war zwar sehr lange als freier Musiker unterwegs, ohne Festanstellung, aber ich habe immer unterrichtet, Stellvertretungen übernommen. Und ab jetzt werde ich an der Hochschule Luzern anfangen zu unterrichten. In diesem Jahr habe ich auch eine Festanstellung an einer Musikschule.
Warum hast du das musikpädagogische Studium überhaupt begonnen?
Dave Gisler : Ich muss sagen, meine Eltern hatten da einen gesunden Weitblick. Es ist halt die Realität, dass es schwierig ist, nur von der Musik zu leben. Zu jener Zeit hat mich die Pädagogik nicht so sehr interessiert. Ich war da so Anfang 20. Ich wollte halt Musik machen. Ich habe zunächst auch nicht das Musikpädagogik-Studium angefangen, sondern das Performance-Studium. Dabei liegt der Hauptfokus auf dem Instrument. Das habe ich abgebrochen und auch die Schule abgebrochen. Meine Eltern haben dann zugeschaut, was dann passiert. Es ging irgendwie mit allem etwas bergab. Sie haben mir dann einen Deal vorgeschlagen: Wir wissen du möchtest gerne mal nach New York, und wir unterstützen das finanziell. Aber wenn du zurückkommst, dann machst du die Pädagogik-Ausbildung. Dafür bin ich ihnen extrem dankbar. Wenn ich es nicht gemacht hätte, hätte ich es sehr bereut.
Welche Rolle spielte und spielt Kurt Rosenwinkel für deine eigene Musikauffassung und die eigenen Kompositionen?
Dave Gisler : Für mich hat er eine sehr große Bedeutung. Zurzeit als ich studierte, war ich ein Fan von ihm. Er war mein großer Hero. Es war magisch, dass er dort war, wo ich auch war; nenne es Zufall. In Luzern habe ich extrem von ihm gelernt. Er hat mich auch stilistisch beeinflusst, obgleich ich schon vorher etwas Eigenes gefunden hatte, vom Sound und meine Spielart. Dann hat es sich stark verändert und nach ihm geklungen. Da musste ich es dann später etwas abschütteln. Unbewusst ist das passiert, aber auch bewusst. Ich sehe mich jetzt nicht mehr in einer Modern Jazz-Band. Die Bewunderung für Kurt Rosenwinkel bleibt aber natürlich bestehen.
Wie kam die Entscheidung für eine eigene Trio-Formation zustanden? Aber du spielst auch in Großformationen...
Dave Gisler : Ja Ich habe in einigen Big Bands gespielt.
Neben der „Kleinformation Trio“ scheinen es dir aber auch Großformationen angetan zu haben. Du hast auch beim „Swiss Jazz Orchestra“, „Lucerne Jazz Orchestra“ und beim „Zürich Jazz Orchestra“ gespielt. Welche Herausforderungen gibt es beim Trio und welche bei der Großformation? Kannst du auch mal skizzieren, warum Großformationen zeitweilig auch ein Reiz für dich hatten...
Dave Gisler : Die Herausforderung im Trio ist für mich grundsätzlich sehr groß. In dieser Konstellation zwei Sets zu gestalten, einen guten Spannungsbogen hinzubekommen, das finde ich eine große Herausforderung für mich. Es gelingt immer besser, aber eigentlich passt mir das Quartett viel besser. Das Trio mit Bass und Schlagzeug sowie ich und ein Gast/eine Gästin. Das ist eigentlich meine Lieblingsformation. Das Trio entwickelt sich immer besser, sodass ich mich immer wohler fühle. Ja, was ist die Herausforderung? Dass die Spannung bleibt, dass es verschiedene Szenen gibt, dass es differenziert ist. In die Großformationen bin ich irgendwie so reingerutscht. Das Lucerne Jazz Orchestra lag mir am Herzen, weil es alles Freunde von mir waren. Das war die erste Großformation, an der ich teilgenommen habe. Zehn Jahre lang existierte das Ensemble, bis zur Auflösung. Es hat sich dann herumgesprochen, dass ich als Gitarrist auch in einer Großformation gespielt habe. Dann haben sie mich angefragt. Allerdings habe ich gemerkt, dass es mir zu viel Aufwand ist, die Stücke immer zu üben. Ja, auch ein Programm zu spielen, das hat mich nicht so befriedigt. Ich habe mich dann davon distanziert. Es ist nicht meine Leidenschaft.
Was stand denn bei den Big Bands auf dem Programm? Thad Jones, Ellington oder Avantgarde?
Dave Gisler : Beim „Lucerne Jazz Orchestra“ waren es nicht die alten Klassiker, sondern zeitgenössische Komponisten, die gespielt wurden. Der Leiter ist ein guter Komponist, David Grottschreiber. Der hat viel für die Band geschrieben und auch Gäste eingeladen. Seine Musik hat mir sehr gefallen. Er ließ Freiheiten in der Musik. Die anderen Bands wie Zürich Jazz Orchestra haben auch Gäste eingeladen, deren Musik gespielt wurde. Beim Swiss Jazz Orchestra war ich bei der Groove-Fraktion dabei. Da waren dann Thad Jones und andere Teil des Programms.
Ist die Etikettierung deiner Musik zwischen Jazz, Rock und Noise zutreffend?
Dave Gisler : Man kann wohl sagen, dass in unserer Musik irgendwie gesangliche Teile vorkommen, dass simple Musik mit simplen Harmonien vorhanden ist. Das steht im Gegensatz zum wilden und schrägen Zeugs. - Eine generelle Charakterisierung unserer Musik habe ich bisher noch nicht auf die Reihe bekommen. Ich habe es mir eigentlich auch noch nie ernsthaft überlegt, weil es mir nicht so wichtig erscheint. Es ist einfach das, was ich mache. Und das hat viele Einflüsse. Deswegen ist es auch so schwierig, es zu definieren. Es fließen Einflüsse ein, die mir gefallen: Rock, Pop, Jazz, Blues, frei improvisierte Musik … Wie willst du das zusammenfassen? Ich überlasse die Definition gerne anderen.
Das Interview führte Ferdinand Dupuis-Panther - Fotos: © ferdinand dupuis-panther, 2024
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