Christina Fuchs – Gespräch mit der in Köln beheimateten Saxofonistin, Klarinettistin und Bandleaderin von No Tango

Schaut man sich die Biografie von Christina Fuchs an, dann wird man feststellen, dass sie zunächst nicht an der Musikhochschule Köln studierte, sondern in Freiburg Geschichte und Germanistik. Ich traf mich mit Christina Fuchs anlässlich eines Konzerts der Band Christina Fuchs No Tango in der Black Box im cuba (Münster) zum Gespräch.

Deine veröffentlichte Biografie spricht von einem zweijährigen Studium der Geschichte und Germanistik. Danach erst erfolgte das Studium in Köln mit den Schwerpunkten Jazzharmonielehre-; Kompositions- und Tonsatzstudien. Woher rührt dieser Studiengangwechsel? Was war entscheidend für diesen Schritt? Höheres Lehramt vs. Musik?

CF: Nein, das höhere Lehramt war nie anvisiert, sondern wenn, dann war es Literatur bzw. Journalismus, den ich erst im Blick hatte. Was den Journalismus betrifft, wurde ich schnell desillusioniert. Ich hatte da vollkommen idealistische Vorstellungen. Ich habe ein Praktikum gemacht, das hat mir die Augen geöffnet, was das wirklich heißt. Die Literatur speziell an der Uni hat mich insoweit auch enttäuscht, weil es primär darum ging, Sekundärliteratur zu zitieren, was ich todlangweilig fand. Ich habe dadurch gemerkt, mich interessiert das Selber-Kreieren, das Selber-Machen und dann nicht unbedingt in der Literatur, sondern in der Musik, weil es noch einmal ein offeneres Medium ist. Ich konnte mir vorstellen, mein ganzes Leben mit Musik zu verbringen. Das konnte ich mit der Germanistik nicht. Ein klares Votum.

Vom Instrumentalstudium ist in der veröffentlichten Biografie nicht die Rede. Warum nicht?

CF: Das steht jetzt nicht in meiner Biografie, aber das habe ich natürlich auch gemacht. Ziemlich schnell war aber parallel dazu klar, dass ich schreiben, also komponieren möchte. Dazu braucht man diese Grundlagen (Anm. gemeint sind Jazzharmonielehre-; Kompositions- und Tonsatzstudien). Das war mir sehr wichtig, und deshalb habe ich es in meine Biografie schwerpunktmäßig hineingeschrieben.

Was war der Anlass gerade das Saxofon und die Klarinette zu wählen?

CF: Ich spiele eigentlich alle Saxofone und alle Klarinetten, die gesamte Holzfamilie. Mit der Zeit haben sich Vorlieben herausgebildet. Ich habe mit Tenorsaxofon angefangen und das auch lange gespielt, bis ich dann irgendwann nach vielen Jahren gemerkt habe, dass das Instrument gemessen an meiner Körpergröße eigentlich zu groß für mich ist, und bin dann auf Altsaxofon und Sopransaxofon umgestiegen. Das ist einfach adäquater und passt besser zu mir. Ich habe erstaunlich lange für diese Erkenntnis gebraucht. Allmählich haben sich das Sopransaxofon und die Bassklarinette als Gegenpole herausgebildet, mit denen man ein großes Spektrum abbilden kann, auch eine große Amplitude. Die B-Klarinette – das sind wirklich meine musikalischen Wurzeln aus dem süddeutschen Raum, wo ich herkomme; dort habe ich mit dem Klarinettenspiel angefangen. Blasmusikverein – das sind meine Roots!

Siehst du eine besondere Affinität zwischen den Instrumenten und deiner Persönlichkeit? Stichworte in diesem Kontext: Extrovertiertheit und Expression. Haben die Instrumente also eine Färbung, die diesen Begriffen nahekommt?

CF: Na klar, das Sopransaxofon ist natürlich extrovertiert. Wenn ich will, dass etwas oben darübersteht, dann wähle ich das. Die Bassklarinette hat eine dunklere Färbung, viel subtilere Farben und Frequenzmischungen. Oftmals sind es diese Mischungen, dass man nicht genau weiß, wo der Klang genau herkommt: kommt er vom Akkordeon oder kommt er von mir? Zusammen ergibt es einen neuen Klang. Mit den Klarinetten sind bessere Mischungen möglich, Sopran ist das Power-Ding.

Ist das Instrument, das du spielst, weiblich, männlich oder neutral?

CF: Nein, auf die Idee bin ich noch nie gekommen. (Lachen!)

Würdest du die Instrumente dann als Werkzeuge bezeichnen?

CF: das Instrument ist eine Verlängerung des Körpers für mich, um die eigene Stimme wahrnehmbar zu machen und zu modifizieren.

Siehst du eine Nähe des Saxofons zur menschlichen Stimme? Ersetzt das Instrument, vor allem das Altsaxofon, gar die Gesangsstimme in einer Jazzformation?

CF: Nun, es gilt der alte Spruch: Was man singen kann, kann man auch spielen. Ich habe das Blasinstrument gewählt, weil ich den Kontakt zum Körper und zum Atem mag und brauche, ich kann es mir fast nicht anders vorstellen. Wenn man beispielsweise vor einem Klavier sitzt, ist es soweit weg. Ich denke, jeder wählt aber intuitiv das Instrument aus, welches zu ihm passt.

Gewiss, es gibt eine Reihe von Saxofonistinnen, die im Jazz für Furore gesorgt und sich einen Namen gemacht haben wie u. a. Viola "Vi" Burnside, Candy Dulfer oder Barbara Thompson. Doch stets dominieren Männer die Musikwelt allgemein und den Jazz im Besonderen wie Paul Desmond, Gerry Mulligan, Ben Webster, Cannonball Adderley, Joshua Redman, Jan Gabarek und so weiter. Ist das ein Problem des Jazz, dieses Missverhältnis zwischen männlichen und weiblichen Instrumentalisten?

CF: Es gibt tatsächlich beim Saxofon erstaunlich viele weibliche Spieler. In den gesamten Instrumentengruppen ist es das von Frauen am häufigsten gewählte. Inzwischen gibt es eine ganze Menge im Vergleich zu vor 25 Jahren. Jazz ist ja leider eine Randspartenmusik, muss man sagen. Das heißt, die Realität, wenn man Jazz zu seinem Lebensmittelpunkt erklärt, ist keine leichte Sache. Das muss man wirklich wollen. Das muss man leben; das muss man verfolgen. Das ist ein Weg, der sehr steinig aussieht, wenn man frisch an der Musikhochschule ist und denkt: „Ah, ich will mal Jazzmusikerin werden.“ Langsam dämmert es einem: „Oh, oh, das wird ungemütlich.“ Das ist ein Kämpferleben. Und das ist nicht so unbedingt die Sache von Frauen, würde ich vermuten.

Bei den Abgängerinnen der Hochschule bemerke ich ein Übergewicht an Vokalistinnen.

CF: Ja, das ist so traditionell und die menschliche Stimme ist ja erstens basic und zweitens auch toll. Sängerinnen gibt es immer, auch im Pop-Bereich. Alle wollen das. Ich kenne aber auch sehr viele Männer, die Sicherheiten wie eine Orchesteranstellung suchen oder doch noch eine Lehrerausbildung anhängen. Das ist ein Sicherheitsbedürfnis, das, wie ich glaube, eher ein gesamtgesellschaftliches Phänomen ist. Es ist die Frage, wie ich mich verorte und wie viel Risiko ich eingehe. Ich bin in den 70er und 80er Jahren sozialisiert, da sah die Welt noch ein bisschen rosiger aus. Ich dachte, ich kann mir das erlauben, ich schaffe das. Vielleicht fühlt sich das heute nicht mehr so an, kann ich mir vorstellen. Ich kenne viele Musiker, mit denen ich arbeite, die sagen, ich gehe an die Uni und mache noch das Schulmusikstudium fertig. Ich habe das damals auch überlegt und habe mich dagegen entschieden.

Ich würde gerne über deine beiden Projekte DoubleXXSaxophoneQuartet und United Women’s Orchestra mit dir sprechen. Was war der Impuls für die Gründung der Ensembles und welches die Intentionen, die du dabei verfolgst oder verfolgt hast?

CF: Das United Women’s Orchestra gibt es ja gar nicht mehr. Das haben wir vor einigen Jahren beendet, nachdem ich das 17 Jahre lang zusammen mit Hazel Leach geleitet habe. Sie lebte damals in Arnheim, also nicht weit von Köln und wir hatten das gleiche Interesse: für große Besetzungen zu schreiben und einen eigenen Klangkörper zu haben, für den man schreiben kann. Vor 25 Jahren, so lang ist das her, waren Frauen komplett unterrepräsentiert. Da haben wir gedacht, diese Leerstelle sollte gefüllt werden: Wir machen ein Ensemble von und für Frauen. Wir haben dann eine Ausschreibung gemacht und abgewartet, wer sich da so meldet. Die Resonanz war überwältigend. Wir haben in das Ensemble eine Menge Zeit und Energie hineingesteckt. Für mich ging es darum zu beweisen, dass Frauen eine Big Band genauso professionell konzipieren und realisieren können wie Männer. Das war für mich ein wichtiges persönliches Anliegen, weil ich immer hören musste: „Ja, Frauen, hm …, könnt ihr das denn auch?“ So dachte ich, es muss halt mal bewiesen werden, dass es geht. Genau das haben wir gemacht, und irgendwann war es dann auch gut. Mein Ziel heute wäre eine Großformation oder auch eine kleinere wie No Tango, eine, die wirklich paritätisch besetzt ist, weil ich es ein gutes Konzept finde, welches auch die Realität widerspiegelt. Beide Energien, weibliche wie männlich, sind ja super, wenn die da sind.

Was war denn die Ausrichtung des Orchesters?

CF: Moderne Big-Band-Musik, die auch orchestral sein darf und kann; eigene Visionen realisieren zu können, die auch jenseits des Mainstreams sind. Für mich war es wichtig, dass ich schreiben konnte, was ich will.

Und wie steht es ums DoubleXXSaxophoneQuartet?

CF: Das ist ein ganz anderes Feld, eher eine kommerzielle Formation. Es ist ein Saxofonquartett, mit dem wir Gigs spielen, die in einem höheren Gagensegment stattfinden. Wir spielen durchaus auch ganz kommerzielle Arrangements. Auf meiner Prioritätenliste steht das Quartett aber relativ weit unten.

Ist deine Band No Tango Programm?

CF: Die Band gibt es ja auch schon seit ca. 15 Jahren. Anfangs war der Name Programm, denn jeder dachte, sobald ein Akkordeon dabei ist, muss es Tango sein. Klar Tangomusik ist Bandoneonmusik, aber die meisten Leute machen da keinen Unterschied, sobald sie einen Balg sehen. So kam der Name zusatnde, denn es ist moderner Jazz, den wir spielen. Das Akkordeon nimmt die Stelle des Harmonieinstrumentes, sonst eher Klavier oder Gitarre, ein. Am Anfang war es das Christina Fuchs 4tet (ziemlich langweilig!) und dann erst No Tango. Bei unserem neuen Programm nehmen wir uns mehr und mehr die Freiheit, den Tango parodistisch aufzugreifen. Warum eigentlich nicht?

Woher nimmst du die Ideen für deine Kompositionen?

CF: Vor allem aus der guten Kenntnis meiner Mitspieler, weil ich genau weiß, was die können, was sie wollen, wo deren Stärken und Schwächen liegen, was wir gut zusammen machen können. Anfangs war es einfach nur das, was ich schreiben wollte. Jetzt schreibe ich mehr den Leuten auf den Leib. Ulla und ich, wir schreiben ja beide für diese Besetzung, haben einen ungeheuren Spaß an odd meters, an ungeraden Takten, an Formen, die etwas anders sind, oder nicht dem normalen AABA-Schema folgen oder in 4er oder 3er stehen. Bei dem neuen Programm haben wir uns selber übertroffen; wir haben, ohne uns abgesprochenen zu haben, überwiegend 10er und 11er geschrieben. Daran müssen wir jetzt richtig arbeiten, aber man muss sich ja selber auch über 15 Jahre motivieren! Und darüber hinaus …

Ich danke für das Gespräch.

Interview und Fotos: © ferdinand dupuis-panther

Informationen

Christina Fuchs

Homepage
http://christina-fuchs.de/







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