Wie kommt man als Münsterländer, als gebürtiger Coesfelder, zum Boogie-Woogie?
C. B.: Radio! Es gab ja damals auch mehr Jazzfans als heute, in den 70er Jahren. Es steht ja auch im Klappentext zur aktuellen CD: Das 1. WDR-Boogie-Woogie-Festival wurde im Radio übertragen, in Mitschnitten. Das war 1974, also 40 Jahre her. Es war zwar nicht geplant, die CD zum Jubiläum herauszubringen, aber durch meinen Radiokonsum bin ich zum Boogie und zum Blues gekommen. Es gab damals eh mehr Jazzsendungen und auch kein Privatradio.
Spielte auch ihr Umfeld eine Rolle? Wurden bei Ihnen zu Hause Swing und Boogie-Woogie gehört?
C. B.: In Coesfeld eigentlich nicht. Ich habe Jahre später erfahren, dass es mein Vater war, der meine Mutter in Jazzkonzerte geführt hat, als sie sich in Bonn kennengelernt hatten. Das wusste ich mit 14 gar nicht. Ist vielleicht ein bisschen Genetik dabei, wollte ich damit sagen.
Es war also keine Musik, die Sie im Elternhaus gehört haben
C. B.: Nein, nicht im Elternhaus. Ja mein Onkel, der war Louis-Armstrong- und Ella-Fitzgerald-Fan, aber das hat mich nicht direkt beeinflusst. Es war sicherlich das Radio und das erste Boogie-Festival. Boogie ist ja eine sehr polarisierende Musik, entweder man liebt sie oder man hasst sie. Man kann ihr nicht gleichgültig gegenüberstehen, weil sie so offensiv ist, mit den Tempo-Bassfiguren, und so viel Power hat.
Was hat Sie denn besonders an der Musik fasziniert?
C. B.: Wie bildet sich Geschmack? Das kann ich nicht sagen.. Man findet etwas gut oder eben nicht.
Gab es jemals eine „Versuchung“, ein anderes Genre zu bedienen z. B. Jazz. Blues, Rock 'n Roll oder Pop oder Funk oder ...?
C.B.: Ich war im selben Alter auch Keith-Emerson-Fan, von The Nice und Emerson, Lake and Palmer. Das ist zwar eine Nebensächlichkeit, aber ich bin über Emerson zu Bach gekommen. Das 3. Brandenburgische Konzert hat er bearbeitet, für eine zweimanualige Hammond-Orgel. Im selben Jahr fing auch mein Klavierunterricht an. Da habe ich, bis ich mit 18 Jahren aufhörte, an der Musikschule zu lernen, fast nur Bach gespielt.
Gibt es eine Brücke zwischen Bach und Boogie?
C. B.: Ja, ich sage es mal ganz schlagzeilenträchtig: Der Bach ist ja der erste Boogie-Woogie-Pianist. Das 5. Brandenburgische Konzert fängt mit geraden 16teln an, hat aber ein triolisches Feeling, was dem Jazz ja ureigen ist. Es braucht auch bestimmte Bands, um Bach zu spielen. Karl Richter aus München hatte ein Klassikensemble und hat die Brandenburgischen Konzerte rhythmisch recht stumpf gespielt. Harnoncourt aus Wien und die Academy of Saint Martin in the Field, die swingen ganz anders, wenn sie Brandenburgische Konzerte spielen. Die Musik selbst ist offenbar etwas, was swingt. Deshalb finde ich Bach stets besser als jede Bearbeitung, bei der man wie Jacques Loussier meint, mal spiele ich mit Bass und Schlagzeug ein bisschen Jazz und mal ein wenig Original-Bach. Das ist überflüssig. Bach swingt von sich aus, wenn man ihn schön forsch spielt und nicht romantisiert schnell und langsam, laut und leise. Das muss gar nicht sein. Bach ist extrem rhythmische Musik.
Ihre letzte CD „Boogie-Woogie“ trägt den Untertitel „mit einem Hauch von Blues“. Sie spielen ja Boogie mit der typischen Basslinie. Was macht dann den Blues aus, den sie gleichsam hinzufügen?
C. B.: Ich habe das immer parallel gespielt. Ich war schon als 20-Jähriger in Blues-Bands. Ich habe auch Stücke von Muddy Waters und B. B. King gespielt. Ich habe beides stets hervorragend gefunden, Boogie und Blues. Bis heute habe ich immer auch Blues gemacht. Ich glaube, wenn man es solange macht wie ich, dass ich den Hauch von Blues, auch wenn ich es wollte, aus der Art, wie ich spiele, gar nicht mehr herausfiltern kann. Bei der Suche nach einem CD-Titel fand ich den oben genannte gut, weil er meinen Klavierstil beschreibt. Man muss auch ganz klar sagen, dass es gerade in Deutschland mehr Boogie-Woogie-Pianisten gibt als jemals zuvor und 90 Prozent sind jünger als ich. Da denkt man automatisch an ein Alleinstellungsmerkmal, wenn man eine Platte herausbringt, auf der nun von mir die vierte Honky-Tonk-Train-Blues-Version zu hören ist.
Sind Titel wie Lloyd and Lloyd Boogie sowie Baby, what you want me to do Verneigungen vor anderen Blues- und Boogie-Woogie-Musikern?
C. B.: Ich fange mal mit dem zweiten Titel an, der ja von Jimmy Reed, einem Bluesmusiker aus Chicago war. Das ist kein Boogie. Das ist eine Nummer, die seit Jahrzehnten von Bluesmusikern gespielt wird. Das Stück ist eher ein Gassenhauer als ein Evergreen, kann man wohl sagen. Da habe ich aus dem Bauch wegen des Sounds heraus entschieden. Romana (gemeint ist die Sängerin Romana Dombrowski) hatte das schon im Programm mit einer anderen Band. Dann kam hinzu, dass wir für ihre Stimme nach der passenden Tonart gesucht haben. Der Song ist wie gesagt ein Gassenhauer, den man herausbringen kann. Es kommt dabei ein bisschen Lagerfeueratmosphäre auf. Ich habe außerdem auch „My babe“ und „Got my Mojo working“ im Programm. Auch die hat Romana mitgebracht. Die habe ich nicht mehr auf der CD veröffentlicht. Das kann man im Jahr 2014 nicht mehr bringen. Live schon, aber nicht auf einer CD. Amandus Grund, ein guter Kumpel und Wegbegleiter von mir, ebenfalls aus Coesfeld, und ich spielen „Lloyd and Lloyd Boogie“ seit 1983 zusammen. Das war eine unserer ersten Coverversionen. Das entstammt einer Lloyd-Glenn-Platte aus den 70er Jahren. Lloyd-Glenn ist ein viel zu unbekannter Pianist, der u. a. bei B. B. King und T-Bone Walker gespielt hat. Der hat außerdem mit Kid Ory Jazz gemacht. Glenn hat unter eigenem Namen ganz fantastische Sachen gemacht, aber den kennen viel zu wenig Leute. Wir wollten den Boogie schon immer mal aufnehmen. Es war aber auch wieder eine Bauchentscheidung.
Wie viel Original liegt in diesen Titeln und wie viel Christian Bleiming?
C. B.: Bei Jimmy Reed muss ich länger ausholen. Es gibt von einem aus Norwegen stammenden und in den USA lebenden Bluesmusiker namens Kid Anderson (Bass und Gitarre) auf You Tube ein paar Videos. In diesen geht es um „stuff people play wrong“, also viel gespielt, aber selten richtig. Anderson sitzt in seiner Werkstatt und erklärt dann den Jimmy-Reed-Stil: Dieser wurde von drei Gitarren oft ohne Bass und Schlagzeug kreiert, auf eine Art, die man nur auf Reed-Platten hören konnte. In den 50er Jahren war es auch nicht so, dass man irgendwelche Farbigen aus dem Delta ins Studio geholt hat und die mal machen ließ, sondern überlegte, wie man einen Sound zaubert, den bisher kein anderer Bluesmusiker gespielt hatte. Das haben wir in der Akribie nicht gemacht. Es gibt bei dem von uns gespielten Reed-Song nur eine Gitarre. Das Klavier spielt eine tragende Rolle – das war bei Reed nie der Fall – und daher ist in diesem Stück sehr viel Christian Bleiming drin. Die Wahl der Tonart richtet sich auch nach unserer Sängerin und nicht nach Jimmy Reed. Das etwas Laszive haben wir versucht zu kreieren, sodass auch das Schwülstige – im positiven Sinne – herübergebracht wird. Beim „Lloyd and Lloyd Boogie“ ist die Sache ganz einfach: Bassfigur relativ original, Thema relativ original am Anfang und am Schluss, und in der Mitte toben Amandus und ich uns in Solos aus. Da wird nichts von Lloyd Glenn gekupfert.
Wie kommen Ihre eigenen Kompositionen zustande? Welche Inspiration benötigen Sie dazu? Könnten Sie das bitte am „Boogie-Woogie on a Riff“ und an „TNT Swing“ erläutern.
C. B.: Ja, „Boogie-Woogie on a Riff“ ist eine neuere Version. Wir haben das schon einmal auf einer CD mit Besenschlagzeug aufgenommen. Der Boogie hat ein Riff-Thema, bei dem Gitarre und Klavier im Abstand von einer Terz bzw. in einem harmonischen Intervall ein Thema spielen, ein Riff-Thema. Die linke Hand von mir spielt einen konventionellen Walking Bass und die Boogie-Improvisationen, die ich mache, setzen sich aus den handelsüblichen Boogie-Bausteinen zusammen. Das ist wie bei Lego, da setzt jeder diese Steine auch individuell zusammen, um etwas Eigenes zu schaffen. Improvisation bewegt sich immer im Spannungsfeld zwischen dem Original und den eigenen Ideen. „TNT Swing“ ist keine übliche 12-Takt-Folge, sondern eine andere. Die habe ich von einem Song der Sängerin Lil Johnson aus den 1930 Jahren, glaube ich. Mir fiel das ungewöhnliche Harmonieschema auf, das in dem Sinne nicht geschützt ist. Auf dieser Schemagrundlage haben wir dann ein eigenes Instrumentalstück geschaffen. Das war meine Idee, und Amandus hat das Gitarrenthema beigesteuert. Wenn das Thema gerade nicht angesagt ist, dann spielt man halt solo über das Harmonieschema, wie in jeder traditionellen Jazzband. Gerade Amandus, der auch mehr Jazz spielt als ich, ist sehr dankbar dafür.
Wie kommt es denn zu dem Beinamen „Westfälischer Boogie-Woogie-König“?
C. B.: Es gibt den Witz: Ich weiß auch nicht, was der Journalist dafür bekommen hat. Ich glaube drei Jahre. Das ist von Insterburg und Co, nicht in Verbindung mit mir. Das ist in Anlehnung an die Texas-Boogie-Queen Katie Webster entstanden, die ich auch persönlich gekannt habe. Die war sehr viel mit einem Soloprogramm in Deutschland unterwegs, eine kleine gedrungene Frau, Sängerin und Pianistin. Ich habe sie ein paar Mal live gehört und mit ihr gesprochen. Der Promoter der Tour hatte ein Poster herausgebracht mit dem genannten Beinamen. Dann kam ich als Gag auf Westphalian Boogie King. Das konnten viele Journalisten nicht richtig verpacken. Es kamen Verhunzungen wie Westfalen-Boogie-King zum Beispiel dabei heraus. Daher habe ich es halt eingedeutscht. Auf so etwas Griffiges greifen dann viele Journalisten gerne zurück. Gedacht war es aber eigentlich nur als Gag für einen einzigen Zeitungsbericht.
Ist das Trio für Sie die ideale Besetzung?
Das Trio der CD-Einspielung gibt es live eigentlich gar nicht. Eigentlich besteht das Christian Bleiming Boogie Trio aus mir, dem Gitarristen und einem Schlagzeuger, ist also ein reines Instrumentaltrio. Das ist der Grund dafür, dass die aktuelle CD bewusst eine Christian-Bleiming-CD ist. Der Trio-Anteil ist unter 40 Prozent. Solo sind fünf Stücke und die Duos mit Amandus sind dann im Nachhinein dazugekommen.
Können Sie sich denn vorstellen, in dem Trio mit der Sängerin Romana Dombrowski weitere Einspielungen zu realisieren?
In der Kombination nicht, aber das hat überhaupt nichts damit zu tun, dass ich dazu nicht stehen kann. Ich habe mit der Sängerin überlegt, vielleicht den Blues der 30er und 40er Jahre mit Schlagzeug und Kontrabass einzuspielen. Das wäre dann richtig rund. Das wäre das nächste Projekt, aber dafür ist es noch viel zu früh, denn die CD ist ja erst einige Monate auf dem Markt und übrigens zu meiner Freude in die Nominierungsliste für den Deutschen Schallplattenpreis in der Kategorie „Blues und Artverwandtes“ aufgenommen worden.
Ich danke Ihnen für das Gespräch.
interview und fotos: ferdinand dupuis-panther
Informationen
Musiker
Christian Bleiming
http://www.bleiming.de
CD-Besprechung
http://www.jazzhalo.be/reviews/cd-reviews/c/christian-bleiming-boogie-woogie-with-a-touch-of-blues/
Romana Dombrowski
http://www.taxi-music.de/home/index.html
Amandus Grund
http://www.jazz-lounge-trio.de/INFO/amandus.html
Café Arte
http://www.cafe-arte-muenster.com/
Originale
Canned Heat Going up the country
Dusty Springfield Son of a preacher man
Im Interview genannt
Kid Anderson
https://myspace.com/kidandersen/videos
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Kid Ory
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Otis Spann
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