Alex Morsey: Interview mit … dem Bassisten

Alex Morsey ist zwischen Ruhr und Ems kein Unbekannter. Wie viele andere Musiker ist auch er ein Absolvent der renommierten Folkwang-Hochschule Essen. Er ist in der Großformation „The Dorf“ ebenso zu finden wie als Komponist und Bassist im Essen Jazz Orchestra. Bei Rose Hip, einer Band, die stärker dem Pop und Soul verpflichtet ist, zupft er die Saiten wie auch im Lutz Wichert Trio, dass sich wohl eher in die Kategorie Improvisationsmusik einordnen lässt. Mehrfach war er als Kontrabassist auch mit dem aus der Ukraine stammenden Pianisten Vadim Neselovskyi zu hören. Anlässlich eines Konzerts des Essen Jazz Orchestra hatte ich die Gelegenheit für ein Gespräch.

 

Du spielst in ganz verschiedenen Formationen, bei The Dorf, beim EJO, in Trios. Gibt es zwischen diesen Ensembles ein verbindendes Glied oder brauchst du die Herausforderung und den Unterschied?

Ich finde es gerade spannend, möglichst viele verschiedene Sachen zu machen und weit zu streuen. Ich mag sehr viel verschiedene Musik und genieße es sehr, Solo zu spielen oder im Duo oder Trio, aber halt genauso bei The Dorf mit 30 Leuten oder auch im Symphonieorchester – das mach ich allerdings sehr selten. Es ist auch toll, Teil von einem riesigen Klangapparat zu sein. In der kleinen Band ist meine Eigenständigkeit viel mehr gefragt, meine Individualität. Im Orchester muss ich irgendwie funktionieren, da habe ich Spaß an der Musik, die ich wunderschön finde und viel besser verstehe, wenn ich selbst mitspiele. Bei Formationen wie dem Dorf ist es tatsächlich so, dass ich gucken kann, wie ich meine spezielle Spielweise da einbringen kann. Das ist sehr offen gestrickt und da ist viel Platz für Töne, die nicht in den Noten stehen, auch wenn man als Zuhörer wahrscheinlich oft nicht sagen kann, was komponiert und was improvisiert ist.

 

Wie stark strukturiert ist denn die Musik von EJO im Gegensatz zu The Dorf? Gibt es Raum für Solos und Improvisation?

Die Musik vom EJO ist viel stärker strukturiert und durchkomponiert als die von The Dorf. Wir versuchen natürlich auch, Freiräume zu schaffen, das können z. B. Solo-Passagen sein, die offener sind und auf den nächsten Teil hinführen (auch, um den Bläsern Pausen zu gönnen).
Im Vergleich zu The Dorf: Jan arbeitet meistens mit Melodie 1 bis 3, die unterschiedlich instrumentiert werden (je nachdem auch, wer da ist), und die man gelegentlich auch verlassen kann. Beim EJO haben wir Trompete 1 bis 4, Posaune 1 bis 4, Saxofone 1-5, und genau die müssen besetzt sein und das spielen, was notiert ist. Dadurch kann natürlich viel präziser schreiben. The Dorf fängt das durch andere Qualitäten auf; einfach durch den Ensemblespielgeist, durch die Masse, durch die pure Energie, die da drinsteckt. Die Musik funktioniert ganz anders und ist viel offener.

 

Was ist das Spannende und der Reiz, in einer Big Band zu spielen? Big Band ist zumeist mit Namen wie Count Basie, Glenn Miller oder Duke Ellington verbunden. Man weiß zumeist, wie die Schemen laufen und wie die Solisten agieren.

Ich fange mal mit dem Reiz an. Wir machen ja modernes Zeug. Ich mag aber auch sehr gerne Count Basie und Ellington. Ellington ist fantastisch. Der Reiz ist die Energie von so einem großen Haufen, die ein Quintett oder Septett einfach nicht hinkriegt. Diese geballte Bläserpower, diese Klangfarbenpalette und die Möglichkeit als Komponist, dafür zu schreiben und sich Farben und Formen auszudenken, die gibt es nur in der Big Band. In anderen Ensembles gibt es andere Möglichkeiten. Ja, eine Big Band ist eine Big Band und mit nichts anderem vergleichbar. Für unsere Band spannend finde ich: Wir haben alle unsere Vorbilder, auch einige, die etwas neuer sind als Duke Ellington und Glenn Miller. Duke Ellington ist ein großes Vorbild für mich, so ist meine Komposition „Stray Cat“ ein Tribut an die Ellington-Big Band und Billy Strayhorn. Weitere große Vorbilder sind Bob Brookmeyer, Maria Schneider und Jim McNeely, vor allem auch Gil Evans, der ist eigentlich der Ausgangspunkt für die neuere Generation.
Ich bin selbst gerade in einer Phase, in der ich verschiedene Kompositions-Techniken probiere, die mehr oder weniger an bestimmte Komponisten und Arrangeure angelehnt sind. Bei „Mint Sauce“ z. B. hatte ich mir vorgenommen, mal zu gucken, was ich mit Material umgehen kann, das auch von Bob Mintzer sein könnte. Wie bekomme ich etwas hin, das ähnlich funktioniert (weil mir seine Musik sehr gut gefällt), aber trotzdem nach Morsey klingt und nicht nach Plagiat? Ein anderes Stück von mir, „A Mermaids Toe“, ist an Hermeto Pascoal angelehnt. Dabei habe ich versucht, eine Melodie zu schreiben, die auch von ihm hätte sein können, außerdem einige seiner sehr speziellen Akkordfarben- und Verbindungen „ausgeliehen“ und das Ganze mit eigenen Ideen verbunden.

 

Du spielst auch im Trio mit Lutz Wichert, das nicht mit der klassischen Instrumentierung, Piano, Bass, Drums, aufläuft. Was reizt Dich an dieser Combo?

Die direkte Interaktion, gerade in Formationen ohne Klavier und Gitarre als Harmonieinstrumente; diese Durchsichtigkeit – das finde ich ganz toll. Der Pianist Thelonious Monk hat das in seinen Bands oft eingesetzt, er hat aber bei Saxofonsolos dreiviertel der Zeit nicht gespielt. Das Tenorsaxofontrio hat ja auch eine bestimmte Tradition seit Sonny Rollins, auch Joe Henderson hat sehr viel in einer solchen Formation gespielt. Das ist ein ganz eigener Sound, Tenorsaxofon und Kontrabass mischen sich irgendwie auf eine besondere Weise. Dieses spezielle Trio von Lutz, mit dem ich seit über 20 Jahren spiele, wird immer offener und experimenteller, immer mehr weg von festgelegten Stücken und Soloformen hin zu freierer Musik mit bestimmten Vorgaben und Strukturen, eher mit Themen, die eine bestimmte Richtung vorgeben, statt einer klassischen Akkordform als Improvisationsgrundlage.

 

Du spielst drei Tieftöner, Tuba, Sousafon und Kontrabass. Zufall oder bewusste Wahl? Kommen diese Instrumente deinem Naturell nahe?

Ich weiß jetzt nicht, ob das Instrument mich geprägt hat oder umgekehrt. Ich habe mich mit 11 in den Kontrabass verliebt und angefangen zu spielen, eigentlich aus einem klassischen Blickwinkel, Jazz kannte ich noch nicht. Mein erster Lehrer, Oskar Otto, hat mir dann den Jazz nähergebracht und konnte dann eine Jazzband an der Musikschule aufmachen, an der eigentlich die gesamte Münsteraner Jazz-Szene unterrichtet hat. Tuba fand ich immer schon faszinierend (auch Posaune und Bariton-Saxophon).
Gegen Ende des Studiums hat mir dann jemand ein Helikon ausgeliehen, das ist eine Art Balkan-Tuba, und das hat direkt ziemlich gut funktioniert.
Praktisch an meiner Instrumenten-Kombination ist, dass ich dieselbe Funktion in den Bands habe und gleichzeitig verschiedene Sounds anbieten kann. Gerade für Theaterproduktionen ist das interessant, auch bei Bei Rose Hip spielen wir sehr stark mit verschiedenen Instrumenten-Kombinationen.

 

Würdest du denn Rose Hip noch als Jazz etikettieren?

Da ist alles Mögliche drin, was uns gefällt: Soul, Pop, Weltmusik. Es ist ja bei vielen Bands so, dass man sie nicht mehr richtig in Schubladen einordnen kann. Für die Jazzer sind wir Pop und für die Popper sind wir Jazz. Ich finde, es geht mehr in eine poppige Richtung, aber das ist mir ehrlich gesagt egal. Hauptsache, die Musik gefällt mir, was für ein Etikett von irgendwelchen Leuten darauf geklebt wird, finde ich nebensächlich.

 

Als Bassist bist du hintergründig aktiv. Ist das auch das, was du für dich bevorzugst?

Eigentlich finde ich die Position im Hintergrund viel spannender, ich stehe am liebsten in der Mitte hinten zwischen allen. Da höre ich alles, ich bekomme alles mit, ich kann alles steuern, manchmal, ohne dass der, der vorne steht, das direkt mitbekommt. Wir in der Rhythmusgruppe haben eigentlich viel mehr „Macht“ als der Solist vorne, wir können sehr viele Sachen anstoßen, die Atmosphäre und den Energiefluss ändern. Viele Leuten sagen, der Bass ist das Herz der Band, wo der Pulsschlag herkommt, mit dem Schlagzeug zusammen. Und das stimmt.

 

Sehr häufig ist der Bassist auch dann im Hintergrund zu finden, wenn er wie bei Ochsenbauer meets Sokal der Bandleader ist. Gibt es denn überhaupt Bassisten, die im Vordergrund stehen?

Ja, das gibt es schon, so Jaco Pastorius, Renaud Garcia-Fons, der mit einem zweiten Bassisten auftritt und selbst die Melodien spielt. Oscar Pettiford hat eine Zeit gerne Cello gespielt und sich einen Bassisten in seine Band geholt. Was ich selbst schon gemacht habe, sind Solokonzerte. Peter Kowald, Barre Phillips und solche Leute haben das auch viel gemacht. Bei Duo- oder Trio-Formationen, die nicht so festgelegt sind auf Begleiter und Solist, gibt es das auch. Es ist halt eher selten. Auch Dave Holland und Charlie Haden stehen meist hinten in der Mitte. Charles Mingus stand zwar hinten in der Mitte, hatte aber eine so gigantische Präsenz, dass er trotzdem immer ganz klar der Hauptakteur war. Wir spielen ja auch fast die ganze Zeit, im Gegensatz zu Bläsern. Ein ganz praktischer Grund: Wenn wir vorne stehen würden, würden wir schlicht die hinter uns verdecken.

Wenn du komponierst, wie wichtig ist dann dein eigenes Instrument?

Meistens nicht so wichtig. Es gibt den Fall, dass ich von bestimmten Bass-Pattern oder -Spieltechniken ausgehe, vorwiegend bei kleineren Formationen. Die Inspiration für ein Stück kann alles Mögliche sein, z. B. eine bestimmte formale Sache, eine bestimmte Harmoniefolge, ein Rhythmus-Pattern oder ein Melodiefetzen, der mir im Kopf herumgeht.

 

Ich danke dir für das Gespräch.

Interview und Fotos: © ferdinand dupuis-panther


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